Sommer-Wetter = Sommer-Loch?

Was haben Günther Oettinger und Knut gemeinsam? Nun, auf den ersten Blick nicht allzu viel. Der eine ist jung, knuddelig und weiss und wohnt in Berlin – der andere alt, knorrig und schwarz und kommt aus Stuttgart. Dennoch tauchen beide gemeinsam Seit an Seit im frühsommerlichen Blätterwald auf. Der eine, weil er sich so putzig trollt, der andere, weil er über Tote kein schlechtes Wort verlieren will.

An mir ging die ganze Aufregung vorbei. Ich habe noch nicht einmal eine Meinung zu Filbinger oder Oettingers Rede. Warum? Ich weiss schlicht zu wenig über Filbingers (Un-)taten. Oettinger wird gute Gründe haben, so argumentiert zu haben wie es es tat. Schließlich ist er ja nicht gerade als wilder Agitator bekannt. Andererseits gibt es ja die nationale Empörungsmaschine mit Claudia Roth an der Spitze, die immer schreit, egal was ist. Außer wenn es um ihre eigenen Dienstwagen geht.

Wenn Oettinger Falsches gesagt hat, dann soll er es zugeben. Wenn er Recht hat, dann soll er zu seiner Meinung stehen. Mir ist es ehrlich gesagt egal. Es ist an der Zeit, dass wir die Generation der Kriegstreiber ruhen lassen und im hier und jetzt politische Entscheidungen treffen, die die Zukunft unseres Landes bestimmen.

Knut ist toll, doch in ein paar Wochen ist er Geschichte. Oettingers Rede auch. Nur leider haben wir dann schon den richtigen Sommer. Und das nächste Loch.

1.3.2.1 Thomas Hobbes

Thomas HobbesThomas Hobbes (geboren 1588, gestorben 1679) war englischer Mathematiker, Staatstheoretiker und Philosoph der frühen Neuzeit. Hobbes wurde 1588 als Sohn eines einfachen Pfarrers in der Grafschaft Wiltshire geboren. Seine Mutter stammte aus einer Bauernfamilie. Da er bereits mit vier Lebensjahren lesen, schreiben und rechnen konnte, wurde er als Wunderkind bezeichnet. Ab dem Alter von acht Jahren wurde Hobbes in einer Privatschule in den klassischen Sprachen unterrichtet.

Mit vierzehn(!) Jahren begann er sein Studium an der Universität Oxford, wo er vor allem Logik und Physik studierte. Nach seinem dortigen Bachelor-Abschluss 1608, wurde er Hauslehrer bei der adligen Familie Cavendish. Diesen Posten hatte er mit Unterbrechungen bis zu seinem Lebensende inne. Für kurze Zeit war Hobbes auch Sekretär des Philosophen Francis Bacon, für den er einige seiner Schriften ins Lateinische übersetzte. Auf den Auslandsreisen, die er mit seinen Schülern der Cavendish-Familie unternahm, lernte er in Pisa Galileo Galilei kennen. Ferner schloss er auf seinen Reisen Bekanntschaft mit René Descartes.

Hobbes setzte sich im Streit zwischen Krone und Parlament für die Rechte des Königs ein und musste deshalb 1640 nach Frankreich fliehen. Dort verfasste er seine staatsphilosophischen Werke, in denen er zwar das absolutistische Königtum verteidigt, aber zugleich das Papsttum und die Kirche kritisiert. Wegen dieser Kritik musste er 1651 erneut fliehen, diesmal zurück nach England, das mittlerweile unter dem Protektorat der Cromwells stand.

Hatten Philosophen in der Tradition Platons und Aristoteles’ noch sittliche Ideale angenommen, etwa in Form einer Idee des Guten oder eines Summum Bonum, so herrschte zu Hobbes’ Lebzeiten ein mehr den Vorstellungen der Sophisten und Kyniker verpflichteter Skeptizismus, der die Erkennbarkeit verbindlicher gemeinsamer Moralstandards verneint.

Auch Hobbes vertritt diesen moralischen Relativismus und stützt sich dabei auch auf die Übertragung seiner erkenntnistheoretischen These, der menschlichen Wahrnehmung sei keine gesicherte Erkenntnis über die Welt möglich, auf das Feld der Ethik. So heißt es etwa in den elements of law, jedermann nenne „das, was ihm gefällt und Vergnügen bereitet, gut, und das was ihm missfällt, schlecht“. Entsprechend ihrer unterschiedlichen körperlichen Beschaffenheit unterschieden sich die Menschen auch in ihrer Auffassung von Gut und Böse. Ein agathon haplos, das schlechthin Gute, gebe es indes nicht.

Hobbes nimmt aber einschränkend zumindest insofern einen moralischen Minimalkonsens an, als nach allgemeiner Meinung jedes Individuum ein natürliches Recht auf Selbsterhaltung habe und sich gegen Angriffe auf seine Person verteidigen dürfe. Dem entspreche umgekehrt die Verpflichtung, niemanden zu verletzen.

Jenseits des Minimalkonsenses über das Selbsterhaltungsrecht müssten moralische Konflikte zwischen Menschen indes verbindlich durch eine übergeordnete Instanz entschieden werden, womit Hobbes den Grundstein für seine politische Philosophie und insbesondere das Staatsmodell des Leviathan von 1651 legt. 

Dort beschäftigt er sich mit der Überwindung des von Furcht, Ruhmsucht und Unsicherheit geprägten gesellschaftlichen Naturzustands durch die Gründung des Staats, also der Übertragung der Macht auf einen Souverän. Dies geschieht durch einen Gesellschaftsvertrag, in dem alle Menschen unwiderruflich ihr Selbstbestimmungs- und Selbstverteidigungsrecht auf den Souverän übertragen, der sie im Gegenzug voreinander schützt. Mit dem Naturzustand hat sich Hobbes schließlich im Gegenstück zum Leviathan befasst, dem Behemoth von 1668.

Sein erkenntnistheoretisches Postulat, dass der menschlichen Wahrnehmung eine Erkenntnis der Welt nicht möglich sei, erstreckt Hobbes auch auf Gott; er nimmt also eine agnostische Position ein. Ausgehend von seiner Vorstellung der Welt als geschlossener Kausalzusammenhang, in dem jede Zustandsveränderung auf den Einfluss bewegter Körper zurückzuführen sei, nimmt er aber konsequenterweise eine erste, selbst nicht bewegte Ursache an, die diese Kausalprozesse in Gang setze, bei der es sich aber nicht notwendig um Gott handeln müsse (anders der sog. kausale Gottesbeweis).

Gleichwohl war Hobbes keineswegs Atheist. Er leugnet weder die Existenz Gottes noch steht er der Religion allgemein oder dem Christentum im Besonderen feindselig gegenüber. Er erklärt sie lediglich zu einer Sache des Glaubens, was für ihn konkret das Vertrauen auf die fehlerfreie Weitergabe religiös-historischer Tatsachen bedeutet. Niemals überzeugend gelungen ist ihm indes, zentrale theologische Begriffe wie Menschwerdung oder Ewiges Leben mit seiner eigenen materialistischen Grundanschauung in Einklang zu bringen.

Auf der Grundlage der starken Stellung des Staates in Hobbes‘ politischer Philosophie weist er diesem auch die Entscheidungsbefugnis in religiösen Dingen zu und fordert insbesondere eine einheitliche Staatskirche. Dementsprechend stand er sowohl dem Papsttum als außerhalb des Nationalstaates stehender Institution als auch den verschiedenen englischen Sekten kritisch gegenüber. Hatte er ursprünglich zumindest noch die Zuständigkeit für die verbindliche Auslegung von Glaubensfragen der Kirche selbst zugesprochen, billigte er im Leviathan erstmals auch sie dem Staat zu.

Der Leviathan

Der Titel des Leviathan lehnt sich an das biblisch-mythologische Seeungeheuer Leviathan an, vor dessen Allmacht jeglicher menschliche Widerstand zuschanden werden muss. Eine ähnliche Rolle kommt in Hobbes absolutistischem Politikverständnis dem Staat zu, der damit zum Gegenstück des durch das Ungeheuer Behemoth personifizierten Naturzustandes wird.

Hobbes schrieb sein Werk vor dem Hintergrund des englischen Bürgerkriegs 1642–1649, der auf beiden Seiten zahllose Opfer forderte und mit seinen chaotischen Verhältnissen das reale Vorbild für den von Hobbes angenommenen gesetzlosen Naturzustand bot. Außerdem verarbeitete er Informationen über das soziale Leben der nordamerikanischen Ureinwohner, da deren Unabhängigkeit von einem Staat als Naturzustand angesehen werden kann.

Hobbes geht von einem Naturzustand aus, in dem die Menschen ohne Gesetz und ohne Staat leben und wo daher – aufgrund des Naturrechts (ius naturalis) – jeder alles beanspruchen kann. Es herrscht Chaos; die Menschen führen – in Hobbes pessimistischem Weltbild – einen „Krieg aller gegen alle“ (bellum omnium contra omnes), in dem „der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ (homo homini lupus est, ursprünglich von Plautus) gilt.

Die Gründe hierfür sind einerseits Wettstreben und Ruhmsucht – Leidenschaften, die der grundsätzlich boshaften Veranlagung entspringen. Sie „scheuen keine Gewalt, sich Weib, Kind und Vieh eines anderen zu unterwerfen […] das Geraubte zu verteidigen […] sich zu rächen für Belanglosigkeiten wie ein Wort, ein Lächeln, einen Widerspruch oder irgendein anderes Zeichen der Geringschätzung“.

Als dritte Triebfeder kommt indes noch der „Argwohn“ hinzu. Da auch der Rechtschaffene annehmen muss, sein Gegenüber sei auf seinen Reichtum und seine Freiheit aus, wird er präventiv diese Gefahr ausschalten. Mehr noch als ein ’natürlicher‘ animalischer Wesenszug des Menschen ist es also seine rationale Antizipation, die ihn in den Krieg zwingt.

Hobbes kennt  auch im Naturzustand Moral in Form des Naturgesetzes (lex naturalis). Jedoch wird dies durch den Zwang zur Selbstverteidigung völlig überlagert. Infolge dieses Krieges leben die Menschen „in ständiger Furcht und der drohenden Gefahr eines gewaltsamen Todes“, ihr Leben ist „einsam, armselig, scheußlich, tierisch und kurz.“

Entgegen verbreiteter Ansicht vertritt Hobbes gleichwohl kein dezidiert negatives Menschenbild. Die schlechten Verhaltensweisen sind weniger der Natur des Menschen geschuldet, sondern werden vielmehr dem Menschen im Naturzustand im Interesse seiner Selbsterhaltung abverlangt.

Der Mensch ist also kein zoon politikon, wie bei Aristoteles, sondern durch Verlangen, Furcht und Vernunft gekennzeichnet und wird geleitet durch ein verderbliches Zusammenspiel des „Wölfischen“ und des Rationalen in ihm, nicht durch Nächstenliebe. Er ist prinzipiell egoistisch und asozial. Auch Willensfreiheit besitzt er nicht.

Diesem Zustand erwächst die Notwendigkeit für eine übergeordnete, allmächtige Instanz, die Sicherheit und Schutz bietet. Durch einen Gesellschaftsvertrag übertragen alle Menschen unwiderruflich „alle Macht“ und insbesondere ihr Selbstbestimmungs- und Selbstverteidigungsrecht „einem Einzigen […] oder aber einer Versammlung, in der durch Abstimmung der Wille aller zu einem gemeinsamen Willen vereinigt wird.“.

Hobbes spricht sich also nicht zwingend für eine bestimmte Staatsform aus, lässt aber durchaus Sympathien für die Monarchie erkennen. Nichts im Sinn hat er indes mit der „modernen“ Gewaltenteilung.

Durch diese „Vereinigung aller zu ein und derselben Person“ entsteht der Staat, der „Leviathan“ als „Sterblicher Gott“. Durch die ihm zuerkannte Autorität ist er in der Lage, „alle Bürger zum Frieden und zu gegenseitiger Hilfe gegen auswärtige Feinde zu zwingen.“. Er wird zum Souverän mit unbeschränkter Gewalt, eine absolute Macht, der sich alle zu unterwerfen haben. Insbesondere ist er – anders als die nun zu Untertanen gewordenen Menschen – selbst nicht Vertragspartner des Gesellschaftsvertrags und lebt damit als einziger außerhalb des Rechts. Jedoch kann er sich damit nicht mehr als einziger im Naturzustand befinden, weil der Naturzustand jedem Menschen das Recht auf alles zuspricht (Naturrecht).

Daraus resultieren nach Hobbes die konkurrierenden, argwöhnischen, sowie ruhmsüchtigen Verhaltensweisen des Menschen. Mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages, mit dem die Legitimation des Souveräns einhergeht, ist der Naturzustand aufgehoben, sodass sich der Souverän auch nicht mehr in diesem befinden kann; er ist Produkt des Vertrages.

Der Souverän befindet sich also weder im Naturzustand noch innerhalb des geschlossenen Gesellschaftsvertrages, dem er übergeordnet ist. Demzufolge müsste für ihn eine dritte Kategorie geschaffen werden. Nur diese dritte Kategorie stellte unter der Voraussetzung, dass er seine Untertanen zu beschützen versteht, diesen rechtsfreien Raum dar. Seine Macht steht über jeder Gerechtigkeit.

Dies ist im Prinzip eine Legitimation jeglicher Tyrannei, wobei Hobbes behauptet, dass ein guter Souverän dies nicht ausnutzt. Hobbes meint aber, dass nur durch dieses Gewaltmonopol der Souverän seine Pflicht erfüllen kann, das Leben seiner Untertanen zu schützen. Er geht sogar so weit, dass der Souverän seine eigene Gewalt gar nicht einschränken kann, da eine Einschränkung die Sicherheit des Staates gefährden würde. Ein Widerstandsrecht der Gewaltunterworfenen ist nur sehr eingeschränkt vorgesehen, nämlich ausschließlich in Bezug auf die Selbsterhaltung: Da jeder Bürger das Recht und die Pflicht hat, sein eigenes Leben zu verteidigen, darf er auch versuchen, sich gegen den Souverän zu wehren, wenn sein Leben in Gefahr gerät (Leviathan, zweiter Teil, Kapitel 21).

Der Preis dieses übermächtigen Staates ist die Freiheit, die es bis auf wenige Ausnahmen in Hobbes Abhandlung nicht mehr gibt. Sie wird dem Streben nach Sicherheit geopfert. Triebfeder der Staatsbildung ist nicht mehr – wie etwa noch bei Aristoteles – die „eudaimonia“, das „gute Leben“, sondern vielmehr das „nackte Überleben“, das Entrinnen der im Naturzustand begründeten Gefahren. Nach Hobbes ist das Ziel des Staates also nicht das Erreichen eines summum bonum (Erreichen des Besten), sondern nur das Vermeiden des summum malum (Abwenden des Schlechtesten).

Hobbes‘ Staatsmodell gehört der Politischen Theorie des Absolutismus an. Nicht mehr das Gottesgnadentum ist es, das dem Monarchen seine Legitimation verschafft, sondern eine – wenn auch unwiderrufliche – Übereinkunft der Untertanen. Dementsprechend stieß Hobbes‘ Leviathan, trotz der intendierten Stärkung des Staates, bei den Monarchen auf erhebliche Kritik.

Kritik sah sich Hobbes‘ Staatsmodell aber auch von anderer Richtung ausgesetzt, von den Staatstheoretikern des in der Folgezeit erstarkenden Liberalismus. Während die Idee des Gesellschaftsvertrags vielfach aufgegriffen wurde, stieß die übermächtige Stellung des Souveräns auf Ablehnung. Eingewandt wurde insbesondere, dass der Leviathan eine menschliche Schöpfung und der Souverän letztlich ebenfalls ein Mensch sein muss. Da dieser ebenfalls von den in seiner Natur liegenden Leidenschaften getrieben wird und damit auch er seinen Mitmenschen ein „Wolf“ ist, erscheine die Annahme, er würde „dem Guten“ dienen und seine Macht nicht missbrauchen, naiv. Dem korrespondiert die Schutzlosigkeit des einzelnen gegenüber dem Leviathan (Quis custodiet ipsos custodes?, „Wer, außer den Wächtern selbst, wacht über die Wächter?“).

Erforderlich erschien insofern eine umfassende Sicherung des Einzelnen gegen Willkür und Machtmissbrauch des Staates. In der Folge wurden rasch individualschützende Grundrechte wie die Eigentumsgarantie oder die Meinungs- und Redefreiheit und die Kontrolle des Souveräns durch demokratische Mechanismen und Gewaltenteilung gefordert.

Was bedeutet der Leviathan für uns?

Nun, Hobbes ist einer der ersten Denker der Neuzeit, die den Staat konstuieren. Er bedient sich dabei eines zu seiner Zeit modernen Menschenbildes: Mechanistisch, axiomatisch, nutzenorientiert. Weiterhin stellt er die Relativität der Sprache und erkenntnisthoretische Überlegungen direkt in den Kontext seiner Theorie. Seine Argumentation more geometrico und sein Kausaldenken (wenn-dann) sind bis heute prägend. Der Mensch handelt bei Hobbes rational im (sehr modernen) Sinne der Lebenserhaltung und individueller Nutzenmaximierung. Hobbes liefert also mit seinem Menschenbild die Grundlagen für das moderne Homo Oeconomicus-Denken, welches in der Postmoderne zu ungeahnter Blüte kommen wird und heute unser Denken weitgehend bestimmt. So unzulänglich und in Teilen falsch es auch ist.

Hobbes wendet in seiner Argumentation eine für uns signifikante Methode an: Er abstrahiert alle Rechte auf eines; in seinem Falle auf einen Herrscher. Der Wille der Summe des Volkes ist dem Willen des Souveräns unterzuordnen. Er schafft also per Abstraktion eine neue Kategorie, die „Wertvoller“ oder „höher“ als das Allgemeine ist. Heute würden wir sagen, er bildet eine Meta-Ebene.

 Hobbes begründet also einen Schritt in unserer Abstraktionsthese – die Abstraktion auf einen Herrscher, die de facto ja schon bei Alexander dem Großen auftritt, aber von den Griechen nie rational erklärt wurde. Leitsatz nach Hobbes müsste also lauten; Herrschaft ist notwendig und absolute Herrschaft des Einen erst ist hinreichend.

Hobbes kennt keine Menschenrechte, keine Gewaltentrennung und keinen Gerechtigkeitsbegriff. Insofern ist er auch ein Rückschritt. (vgl. Marsilius) Aber er führt in seinem Modell einen Begriff ein, der uns bis heute nicht mehr loslassen wird: Den impliziten Vertrag.

Hobbes meint, dass mit der Geburt der Mensch mit dem Staat, in dem er lebt, einen Vertrag eingeht. In diesem Vertrag tritt der Bürger Rechte zugunsten des Staates ab. Diese Vorgehensweise trennt die Interessen des Einzelnen vom Interesse des Allgemeinen und bereitet somit gerade die von Hobbes abgelehnte Institutionalisierung vor.

Hobbes argumentiert auf Mikro-Ebene – er geht, ganz modern, von Individuum als Argumentationseinheit aus. Das ist neu. Er führt also das Konzept des Individualismus in das Staatsdenken ein. Allerdings sind seine Individuen recht-, und machtlos, da sie ja alle Rechte an den Leviathan abgegeben haben. Weiterhin argumentiert er, ganz wie Machiavelli, auf einem Machtkonzept. Auch das sollten wir uns merken. Das Problem der Aggregation, das heisst, der Summierung von Meinungen auf den Souverän (modern gesprochen das Mikro-Makro-Problem) umgeht er, indem der den Souverän auf eine eigene Stufe stellt. Somit zählt des Bürgers Meinung nicht mehr.

Die Summierung von Einzelinteressen führt bei Hobbes also nicht zu der problematischen Meinungs-Akkumulation, die Konzepte wie Öffentlichkeit benötigt, um sich artikulieren zu können. Es gibt keine Aggregatsmeinung, sondern an deren Stelle tritt eine neue Kategorie, die wiederum Partikularinteresse hat.

Das ist logisch nicht möglich. Stellen sie sich vor, sie sammeln eine Menge Äpfel, mit allen Eigenschaften die Äpfel so haben, also Geruch, Geschmack, Gewicht, Farbe etc. Die Summe der Äpfel ist der Apfelberg, der logischerweise die Eigenschaften der Äpfel beinhaltet, also das Gewicht, den Geruch, etc. In Hobbes‘ Denken wäre die Summe der Äpfel aber gar kein Apfelberg. Weil die Äpfel sich gegenseitig zerdrücken, erfindet er die Apfelkiste, die das Zerdrücken der Äpfel verhindert. Die Eigenschaften dieser Apfelkiste haben aber mit den Äpfeln an sich nichts mehr zu tun. Sie bestimmt das Schicksal der Äpfel von außen, wird außerhalb der Äpfel hergestellt. Hobbes Modell legt sogar noch eine Plastikfolie um die Äpfel, sodaß auch der Geruch neutralisiert wird. In der Folge Argumentiert er dann über die Äpfel, betrachtet aber nur die verpackte Apfelkiste.

Er verliert in seiner Abstraktion also relevante Daten über die Einzelobjekte – in diesem Fall die Menschen. Das sollten wir nicht tun.

Wir übernehmen von Hobbes dennoch einiges: Die Abstraktion als Methode, den impliziten Vertrag als Methode, den Werterelativismus, den kausalen Gottesbeweis, das realistische (negative) Menschenbild, das Naturgesetz, den Individualismus als Grundlage, das Kosten-Nutzen-Denken, welches wir allerdings noch  revidieren werden.

Den Rest schieben wir getrost zurück ins Geschichtsregal, denn seine Mitdenker waren schon einige Schritte weiter.
 

1.3.1.4 Machiavelli

Nicolo MachiavelliNiccolò Machiavelli (geboren 1469, gestorben 1527, beides in Florenz) war ein italienischer Politiker, Philosoph, Geschichtsschreiber und Dichter. Vor allem aufgrund seines Werks Il Principe („Der Fürst“) gilt er als einer der bedeutendsten Staatsphilosophen der Neuzeit. Sein politisches Hauptwerk Discorsi ist darüber in den Hintergrund getreten. Es gibt scheinbar große Widersprüche zwischen den einzelnen Werken Machiavellis. So handeln die Discorsi eher von einer republikanischen Verfassung, während Il Principe die Alleinherrschaft thematisiert.

Machiavelli ersetzte in seinen Schriften das tradierte Bild des humanistischen Menschen. Er individualisierte die Menschen, indem er feststellte, dass jeder Mensch spezielle Bedürfnisse und Verlangen (ambizione) hat. Schlecht sind die Menschen deshalb nicht von Natur aus, sondern durch die Art und Weise, wie sie ihre Ambitionen verfolgen. In erster Linie sind die Menschen undankbar selbst gegen ihre Wohltäter, und nur ein gewisses Ehrgefühl hält sie oft davon ab, ihren Wohltätern zu schaden. So sind die Menschen nie wirklich gut und nie wirklich böse, doch in jedem Fall muss man ihnen misstrauen. Die Gesetze sind nach Machiavelli geschaffen, um die Bürger vor dem Undank ihrer Mitmenschen zu schützen. Das Menschenbild Machiavellis ist also eher negativ geprägt.

Dieser Interpretation, die den Denker in die traditionellen Kategorien einordnet, steht eine andere gegenüber, welche die besondere Eigenart Machiavellis in seinem Konzept des „pricipe nouvo“ untersucht. Der Fürst, den Machiavelli beschreibt, darf in der Tat keine Eigenschaften sondern nur Fertigkeiten des Machterhalts besitzen. Diese Fertigkeiten soll er je nach den Umständen nutzen. Jede Entwicklung von Gewohnheiten ist für die Erhaltung der Herrschaft schädlich. Der Fürst ist gleichsam kein unmoralisches sondern ein „übermoralisches“ Wesen, das sich an jede Situation anpasst.

Das Geschichtsbild Machiavellis bietet den Schlüssel zu seinem komplexen Denken. In seiner Auffassung verläuft die Geschichte zyklisch. Zunächst befindet sich eine Gesellschaft in Anarchie oder einer tiefen Krise. Diese wird durch die Herrschaftserrichtung eines Anführers (uomo virtuoso) überwunden, welcher dann feste Institutionen schafft. In einem weiteren Schritt konsolidiert er dieses politische Gebilde, doch um ihm Festigkeit zu verleihen, muss es in eine republikanische Form gebracht werden. Sobald sich die Bürger auch mit diesem Gemeinwesen identifizieren, ist der Zenit der Entwicklung erreicht, und der Abstieg muss früher oder später beginnen. Dieser setzt durch den Verfall der Sitten ein (beginnend bei den herrschenden Schichten) und setzt sich mit dem Verfall der Institutionen fort. Diese Entwicklung endet wiederum in einer tiefen Krise oder in Anarchie.

Unter dem Begriff virtù versteht Machiavelli die politische Energie bzw. den Tatendrang, um die eigene politische Macht zu nutzen. Sowohl einzelne Menschen als auch ganze Völker können Träger dieser Kraft sein. Diese virtù ist nie gleich verteilt. Wo sie allerdings war, führte sie zu großen Reichen. So hatte das Römische Reich eine so große Macht erreicht, weil seine Anführer und sein Volk von viel virtù beseelt waren. Folglich kann man diese metaphysische Kraft nicht erzwingen, aber man kann günstige Voraussetzungen für sie schaffen, z. B. in der Struktur der Verfassung.

Gegenspielerin der virtù ist die fortuna. Sie steht für das Schicksal, den Zufall, aber auch für die Gelegenheit. Sie ist der unberechenbare Faktor in der politischen Rechnung. Machiavelli sieht den Herrscher immer in einem Kampf gegen fortuna. Allerdings macht diese nur etwa die Hälfte des Erfolges aus; die andere Hälfte ist bestimmt durch Willenskraft (virtù) und praktische Vorbereitung. Für letzteres stellt ein großer Teil von Machiavellis Werk einen praktischen Handlungsratgeber dar.

Im Il Principe beschreibt Machiavelli, wie ein Herrscher politische Macht gewinnen und bewahren kann. Dieses Werk wird oft als Verteidigung des Despotismus und der Tyrannei machtbewusster Herrscher verstanden. Es beruht auf der Überzeugung Machiavellis, dass ein Herrscher nicht an die überlieferten ethischen Normen gebunden zu sein braucht. Dem Alleinherrscher kommt im ersten Teil des Geschichtszyklus Machiavellis eine tragende Bedeutung zu. Nach seiner Auffassung kann sich ein Volk nie selbst aus der Krise befreien. Dazu benötigt es einen von der virtù beseelten Menschen (uomo virtuoso), der es anführt und die Fundamente einer staatlichen Struktur schafft und diese konsolidiert. Seine Herrschaft garantiert eine politische Ordnung, von der Machiavelli annimmt, dass sie Voraussetzung für die Moral der Menschen sei. Aber aus der Moral entspringt die Sittlichkeit und aus dieser wiederum kann virtù erst wirken. Um die Menschen eines Volkes in die Lage zu versetzen die eigene virtù z. B. in einer Republik zu nutzen, bedarf es zunächst des Aufbaus einer politischen Ordnung, garantiert durch einen Fürsten.

Dass dieses nie in der Praxis funktioniert hat, ist klar. Schon die alten Griechen hatten die korrumpierende Wirkung der Macht verstanden. Machiavellis Idealfürst hingegen scheint dagegen völlig immun zu sein.

Der Fürst muss seine Aufgabe zum Wohle des Gemeinwesens (Staatsräson) um jeden Preis erfüllen. Da er von Menschen umgeben ist, die unmoralisch und schlecht sind, darf er sich nicht durch moralische Aspekte in der Ausübung seiner Rolle einschränken lassen. Der Gebrauch von Gewalt ist nach Machiavelli gerechtfertigt, sogar zwingend notwendig, insofern sie dem Aufbau und Erhalt des Gemeinwesens dient.

Wenn der Fürst die Wahl hat, von seinem Volk geliebt oder gefürchtet zu werden, so sei die Furcht vorzuziehen, denn sie sei ein verlässlicher Faktor. „Ist es besser, geliebt zu werden als gefürchtet, oder verhält es sich umgekehrt? Die Antwort lautet, dass beides erstrebenswert ist; da man jedoch beides nur schwerlich miteinander verbinden kann, ist es viel sicherer, dass ein Fürst gefürchtet wird, als dass er geliebt wird, wenn er schon nicht beides zugleich erreichen kann.“ Im Idealfall wird der Herrscher natürlich zugleich geliebt und gefürchtet. Allerdings sollte der Fürst nichts tun, um gehasst zu werden, denn dies würde seinen Rückhalt im Volk zerstören – so rät Machiavelli klar davon ab, das Eigentum der Untertanen zu berühren.

Notwendige Grausamkeiten müssen kurz und heftig sein, damit sie bald vergessen werden, aber Wohltaten sollten in kleinen Mengen erfolgen, damit die Erinnerung an sie lange hält. Der Fürst muss sich nur dann an ein gegebenes Wort halten, wenn es ihm Vorteile bringt. Schadet es dem Gemeinwohl, so muss er es brechen.

Dieses scheinbar unethische Verhalten darf jedoch auf keinen Fall das Ergebnis eigennütziger Intentionen sein, sondern ist lediglich als Mittel zum Erreichen eines höheren Ziels, nämlich zur Erhaltung des Gemeinwohls, einzusetzen. Machiavelli ist in seiner Formulierung hier recht eindeutig – die Verhaltensweisen des Fürsten bezeichnet er als Verbrechen, zu denen dieser zur Erfüllung seiner (im Endeffekt moralischen) Aufgabe gezwungen ist. Der Fürst sollte moralisch handeln, solange die Notwendigkeit seiner Aufgabe es zulässt, und sich auch ständig den Anschein eines moralischen Menschen geben, jedoch keine Scheu haben, augenblicklich von diesem Weg abzuweichen, sobald es im Namen des Gemeinwohls notwendig wird.

Nach Machiavelli sind die Verfassungen gut, die dem Staat erlauben, seine geschichtlichen Aufgaben zu erfüllen. Dennoch war Machiavelli zeitlebens ein überzeugter Republikaner. Die Alleinherrschaft eines Fürsten sollte schließlich nur eine Übergangsphase sein. Republiken handeln eher im Sinne des Gemeinwohls als ein Alleinherrscher, der auch dynastische und egoistische Interessen besitzt. Sie beteiligen eine große Menge an Menschen an dem politischen Prozess, was deren virtù fördert und sie in den Dienst des Staates stellt. Somit ist das politische Gebilde einer Republik stabiler, widerstandsfähiger und kraftvoller, weil es auf die virtù und das Potential von vielen Bürgern zurückgreifen kann anstatt auf das eine des Fürsten. Als Beispiel nennt Machiavelli Rom, welches als Republik stark war und erst unter den Caesaren zugrunde ging. Dabei meint Machiavelli, dass die Verfassung der Republik nicht auf Harmonie ausgelegt sein sollte. Es sollte immer ein Konfliktpotenzial bestehen (z. B. zwischen Adel und Bürgertum), weil dieser Zustand die politische Aktivität der Bürger wach halten würde.

Die Jesuiten und der Papst führten als erste eine Initiative zum Verbot von Machiavellis Schriften an. Dies war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Machiavelli die Kirche stark kritisiert hatte. Dabei wandte er sich nicht allgemein gegen Religionen, denn er war der Ansicht, dass die Religion wichtig sei, weil sie Moral vermittle und somit die Voraussetzung für die Sittlichkeit wäre (und aus der Sittlichkeit kann virtù entspringen). Gleichzeitig vermittle sie auch Kraft, was bei dem Aufbau eines Staates ungemein wichtig wäre.

Die wichtigste Machtstütze des Fürsten ist ein eigenes stehendes Heer. Nur darauf kann er seine Macht aufbauen, da es sowohl vor inneren als auch vor äußeren Feinden schützt. Dieses Heer muss er selbst anführen, denn das Kommando einem Feldherrn zu übertragen untergräbt die eigene Autorität und macht den Fürsten angreifbar. Aus demselben Grund darf er auch keine Söldner anwerben, weil diese unzuverlässig wären, was der fortuna in die Hände spielen würde.

Eine Republik muss hingegen ein Volksheer unterhalten, wie es auch Rom getan hat. In ihm kann man wiederum die virtù des Volkes nutzen und sie überhaupt erst begründen. Denn diese kommt dadurch zum Tragen, dass sich das Volk für das Gemeinwohl engagiert und somit die ganze Kraft des Staates Verwendung findet. Mit Söldnerheeren ist das nicht möglich, weil diese eigene Interessen verfolgen und im Falle einer Niederlage sogar ganz wegfallen.

Das Christentum in Form der katholischen Lehre lehnte Machiavelli ab. Er meinte, dass das Christentum zu Demut und Zurückhalten erziehe. Außerdem würde es den Menschen vermitteln, dass es nicht lohne, im Diesseits etwas zu tun, wenn doch das Leben erst im Jenseits wirklich lohnenswert wäre. Damit untergrabe, so Machiavelli, das Christentum die Entwicklung von virtù in den Menschen, denen es daher nicht gelinge, sich selbst zu befreien. Auch wandte sich Machiavelli gegen die Institution der Kirche, die er für den Sittenverfall in Italien verantwortlich machte.

Machiavellis Werk erfuhr eine Reihe von Deutungen, die von der reinen Lehre der Technik der Macht bis zum Aufruf zur Befreiung und Einigung Italiens reichten. Er entdeckte im Prinzip der Staatsräson das Grundgesetz der modernen europäischen Staatenwelt. Die Auseinandersetzungen um Machiavelli begleiten die ganze moderne Ideengeschichte bis hin zur Faschismustheorie und dem Begriff des Totalitarismus. Schon früh bildete sich die gegen die Machiavellianischen Anschauungen gerichtete Strömung des Antimachiavellismus, der zur Hauptsache Kleriker, Adelige, humanistische Philosophen, Freigeister, Aufklärer und Ethiker anhingen. Sie brandmarkten Machiavelli als Menschenfeind. Ihre berühmteste Schrift ist wohl der Antimachiavell Friedrichs des Großen, ein scharfer Angriff auf die im Fürsten vorgeschlagenen Wege.

Dennoch gab es im Zeitalter der Aufklärung auch bedeutende Denker wie Diderot oder Rousseau, die im Fürsten einen versteckten Angriff auf die Gewissenlosigkeit und Selbstsucht der Despoten sahen. Später griff Johann Gottlieb Fichte Machiavellis Theorien erneut auf. Er erblickte in ihnen brauchbare Ideen für den aufkommenden Nationalismus in Deutschland, weil die Situation in Italien zur Zeit Machiavellis mit derjenigen Deutschlands am Anfang des 19.Jahrhunderts vergleichbar erschien. Auch Hegel versuchte Machiavelli in dieser Weise zu aktualisieren. Selbst Johann Gottfried Herder und Friedrich Nietzsche verfassten Werke über Machiavelli. (Quelle: wikipedia.de)

Was lernen wir vom „Denker der Despoten“? Nun, zunächst liefert er uns in klaren Worten ein realistisches Machtkonzept. Genau so verhalten und verhielten sich Tyrannen rund um den Globus zu allen Zeiten. Machiavelli beschreibt ein idealtypisches Machtkonzept, welches auf Alleinherrschaft beruht und somit natürlich jedem modernen Staatsverständnis widerstrebt. Allerdings tauchen Diktaturen nach machivellistischem Vorbild immer wieder als Gegner der modernen Demokratien auf.

Wir lernen weiter von Machiavelli, dass es durchaus legitime Gründe zur Anwendung von Gewalt geben kann. Dies werden wir im Zuge der so genannten „humanitären Intervention“ noch näher diskutieren. Auch das Kapitel Über Machtkonzepte wird sich mit der Thematik noch befassen.

Machiavelli ist für uns der Machttheoretiker, der gesellschaftliche Wirkungsweisen verstanden hat. Er liefert uns eine Größe zum Verständnis von Kräften in der Gesellschaft, deren Bedeutung ja oft unterschätzt wird, bis sie dann eruptiv zu Tage treten. Machiavelli vertritt ein realistisches Menschenbild, welches er aus der Geschichte rekurriert – das tun wir ebenfalls.

Die Ultima Ratio Machiavellis, das Volk zu beherrschen, um es „gut“ zu machen, wurde in der Geschichte von vielen Diktaturen angewandt – Egal, ob Nationalsozialisten, Kommunisten oder andere dogmatische Herrscher bishin zu Sekten wie Scientology – sie alle bedienten sich an Machiavellis Tipps zur absoluten Herrschaft.

Wir müssen lernen, dass diese Tendenzen immer noch auf der Welt und im Denken der Menschen präsent sind und das es keine Garantien gibt, dass nicht einzelne Gemeinschaften zurück in despotische Herrschaften fallen könnten. Das einzig positive, welches wir aus den Thesen der Florentiners mitnehmen, ist sein Drang zur Säkularisierung des Staates und seine Teilung der Herrschaft in der Republik.