1.3.1.4 Machiavelli

Nicolo MachiavelliNiccolò Machiavelli (geboren 1469, gestorben 1527, beides in Florenz) war ein italienischer Politiker, Philosoph, Geschichtsschreiber und Dichter. Vor allem aufgrund seines Werks Il Principe („Der Fürst“) gilt er als einer der bedeutendsten Staatsphilosophen der Neuzeit. Sein politisches Hauptwerk Discorsi ist darüber in den Hintergrund getreten. Es gibt scheinbar große Widersprüche zwischen den einzelnen Werken Machiavellis. So handeln die Discorsi eher von einer republikanischen Verfassung, während Il Principe die Alleinherrschaft thematisiert.

Machiavelli ersetzte in seinen Schriften das tradierte Bild des humanistischen Menschen. Er individualisierte die Menschen, indem er feststellte, dass jeder Mensch spezielle Bedürfnisse und Verlangen (ambizione) hat. Schlecht sind die Menschen deshalb nicht von Natur aus, sondern durch die Art und Weise, wie sie ihre Ambitionen verfolgen. In erster Linie sind die Menschen undankbar selbst gegen ihre Wohltäter, und nur ein gewisses Ehrgefühl hält sie oft davon ab, ihren Wohltätern zu schaden. So sind die Menschen nie wirklich gut und nie wirklich böse, doch in jedem Fall muss man ihnen misstrauen. Die Gesetze sind nach Machiavelli geschaffen, um die Bürger vor dem Undank ihrer Mitmenschen zu schützen. Das Menschenbild Machiavellis ist also eher negativ geprägt.

Dieser Interpretation, die den Denker in die traditionellen Kategorien einordnet, steht eine andere gegenüber, welche die besondere Eigenart Machiavellis in seinem Konzept des „pricipe nouvo“ untersucht. Der Fürst, den Machiavelli beschreibt, darf in der Tat keine Eigenschaften sondern nur Fertigkeiten des Machterhalts besitzen. Diese Fertigkeiten soll er je nach den Umständen nutzen. Jede Entwicklung von Gewohnheiten ist für die Erhaltung der Herrschaft schädlich. Der Fürst ist gleichsam kein unmoralisches sondern ein „übermoralisches“ Wesen, das sich an jede Situation anpasst.

Das Geschichtsbild Machiavellis bietet den Schlüssel zu seinem komplexen Denken. In seiner Auffassung verläuft die Geschichte zyklisch. Zunächst befindet sich eine Gesellschaft in Anarchie oder einer tiefen Krise. Diese wird durch die Herrschaftserrichtung eines Anführers (uomo virtuoso) überwunden, welcher dann feste Institutionen schafft. In einem weiteren Schritt konsolidiert er dieses politische Gebilde, doch um ihm Festigkeit zu verleihen, muss es in eine republikanische Form gebracht werden. Sobald sich die Bürger auch mit diesem Gemeinwesen identifizieren, ist der Zenit der Entwicklung erreicht, und der Abstieg muss früher oder später beginnen. Dieser setzt durch den Verfall der Sitten ein (beginnend bei den herrschenden Schichten) und setzt sich mit dem Verfall der Institutionen fort. Diese Entwicklung endet wiederum in einer tiefen Krise oder in Anarchie.

Unter dem Begriff virtù versteht Machiavelli die politische Energie bzw. den Tatendrang, um die eigene politische Macht zu nutzen. Sowohl einzelne Menschen als auch ganze Völker können Träger dieser Kraft sein. Diese virtù ist nie gleich verteilt. Wo sie allerdings war, führte sie zu großen Reichen. So hatte das Römische Reich eine so große Macht erreicht, weil seine Anführer und sein Volk von viel virtù beseelt waren. Folglich kann man diese metaphysische Kraft nicht erzwingen, aber man kann günstige Voraussetzungen für sie schaffen, z. B. in der Struktur der Verfassung.

Gegenspielerin der virtù ist die fortuna. Sie steht für das Schicksal, den Zufall, aber auch für die Gelegenheit. Sie ist der unberechenbare Faktor in der politischen Rechnung. Machiavelli sieht den Herrscher immer in einem Kampf gegen fortuna. Allerdings macht diese nur etwa die Hälfte des Erfolges aus; die andere Hälfte ist bestimmt durch Willenskraft (virtù) und praktische Vorbereitung. Für letzteres stellt ein großer Teil von Machiavellis Werk einen praktischen Handlungsratgeber dar.

Im Il Principe beschreibt Machiavelli, wie ein Herrscher politische Macht gewinnen und bewahren kann. Dieses Werk wird oft als Verteidigung des Despotismus und der Tyrannei machtbewusster Herrscher verstanden. Es beruht auf der Überzeugung Machiavellis, dass ein Herrscher nicht an die überlieferten ethischen Normen gebunden zu sein braucht. Dem Alleinherrscher kommt im ersten Teil des Geschichtszyklus Machiavellis eine tragende Bedeutung zu. Nach seiner Auffassung kann sich ein Volk nie selbst aus der Krise befreien. Dazu benötigt es einen von der virtù beseelten Menschen (uomo virtuoso), der es anführt und die Fundamente einer staatlichen Struktur schafft und diese konsolidiert. Seine Herrschaft garantiert eine politische Ordnung, von der Machiavelli annimmt, dass sie Voraussetzung für die Moral der Menschen sei. Aber aus der Moral entspringt die Sittlichkeit und aus dieser wiederum kann virtù erst wirken. Um die Menschen eines Volkes in die Lage zu versetzen die eigene virtù z. B. in einer Republik zu nutzen, bedarf es zunächst des Aufbaus einer politischen Ordnung, garantiert durch einen Fürsten.

Dass dieses nie in der Praxis funktioniert hat, ist klar. Schon die alten Griechen hatten die korrumpierende Wirkung der Macht verstanden. Machiavellis Idealfürst hingegen scheint dagegen völlig immun zu sein.

Der Fürst muss seine Aufgabe zum Wohle des Gemeinwesens (Staatsräson) um jeden Preis erfüllen. Da er von Menschen umgeben ist, die unmoralisch und schlecht sind, darf er sich nicht durch moralische Aspekte in der Ausübung seiner Rolle einschränken lassen. Der Gebrauch von Gewalt ist nach Machiavelli gerechtfertigt, sogar zwingend notwendig, insofern sie dem Aufbau und Erhalt des Gemeinwesens dient.

Wenn der Fürst die Wahl hat, von seinem Volk geliebt oder gefürchtet zu werden, so sei die Furcht vorzuziehen, denn sie sei ein verlässlicher Faktor. „Ist es besser, geliebt zu werden als gefürchtet, oder verhält es sich umgekehrt? Die Antwort lautet, dass beides erstrebenswert ist; da man jedoch beides nur schwerlich miteinander verbinden kann, ist es viel sicherer, dass ein Fürst gefürchtet wird, als dass er geliebt wird, wenn er schon nicht beides zugleich erreichen kann.“ Im Idealfall wird der Herrscher natürlich zugleich geliebt und gefürchtet. Allerdings sollte der Fürst nichts tun, um gehasst zu werden, denn dies würde seinen Rückhalt im Volk zerstören – so rät Machiavelli klar davon ab, das Eigentum der Untertanen zu berühren.

Notwendige Grausamkeiten müssen kurz und heftig sein, damit sie bald vergessen werden, aber Wohltaten sollten in kleinen Mengen erfolgen, damit die Erinnerung an sie lange hält. Der Fürst muss sich nur dann an ein gegebenes Wort halten, wenn es ihm Vorteile bringt. Schadet es dem Gemeinwohl, so muss er es brechen.

Dieses scheinbar unethische Verhalten darf jedoch auf keinen Fall das Ergebnis eigennütziger Intentionen sein, sondern ist lediglich als Mittel zum Erreichen eines höheren Ziels, nämlich zur Erhaltung des Gemeinwohls, einzusetzen. Machiavelli ist in seiner Formulierung hier recht eindeutig – die Verhaltensweisen des Fürsten bezeichnet er als Verbrechen, zu denen dieser zur Erfüllung seiner (im Endeffekt moralischen) Aufgabe gezwungen ist. Der Fürst sollte moralisch handeln, solange die Notwendigkeit seiner Aufgabe es zulässt, und sich auch ständig den Anschein eines moralischen Menschen geben, jedoch keine Scheu haben, augenblicklich von diesem Weg abzuweichen, sobald es im Namen des Gemeinwohls notwendig wird.

Nach Machiavelli sind die Verfassungen gut, die dem Staat erlauben, seine geschichtlichen Aufgaben zu erfüllen. Dennoch war Machiavelli zeitlebens ein überzeugter Republikaner. Die Alleinherrschaft eines Fürsten sollte schließlich nur eine Übergangsphase sein. Republiken handeln eher im Sinne des Gemeinwohls als ein Alleinherrscher, der auch dynastische und egoistische Interessen besitzt. Sie beteiligen eine große Menge an Menschen an dem politischen Prozess, was deren virtù fördert und sie in den Dienst des Staates stellt. Somit ist das politische Gebilde einer Republik stabiler, widerstandsfähiger und kraftvoller, weil es auf die virtù und das Potential von vielen Bürgern zurückgreifen kann anstatt auf das eine des Fürsten. Als Beispiel nennt Machiavelli Rom, welches als Republik stark war und erst unter den Caesaren zugrunde ging. Dabei meint Machiavelli, dass die Verfassung der Republik nicht auf Harmonie ausgelegt sein sollte. Es sollte immer ein Konfliktpotenzial bestehen (z. B. zwischen Adel und Bürgertum), weil dieser Zustand die politische Aktivität der Bürger wach halten würde.

Die Jesuiten und der Papst führten als erste eine Initiative zum Verbot von Machiavellis Schriften an. Dies war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Machiavelli die Kirche stark kritisiert hatte. Dabei wandte er sich nicht allgemein gegen Religionen, denn er war der Ansicht, dass die Religion wichtig sei, weil sie Moral vermittle und somit die Voraussetzung für die Sittlichkeit wäre (und aus der Sittlichkeit kann virtù entspringen). Gleichzeitig vermittle sie auch Kraft, was bei dem Aufbau eines Staates ungemein wichtig wäre.

Die wichtigste Machtstütze des Fürsten ist ein eigenes stehendes Heer. Nur darauf kann er seine Macht aufbauen, da es sowohl vor inneren als auch vor äußeren Feinden schützt. Dieses Heer muss er selbst anführen, denn das Kommando einem Feldherrn zu übertragen untergräbt die eigene Autorität und macht den Fürsten angreifbar. Aus demselben Grund darf er auch keine Söldner anwerben, weil diese unzuverlässig wären, was der fortuna in die Hände spielen würde.

Eine Republik muss hingegen ein Volksheer unterhalten, wie es auch Rom getan hat. In ihm kann man wiederum die virtù des Volkes nutzen und sie überhaupt erst begründen. Denn diese kommt dadurch zum Tragen, dass sich das Volk für das Gemeinwohl engagiert und somit die ganze Kraft des Staates Verwendung findet. Mit Söldnerheeren ist das nicht möglich, weil diese eigene Interessen verfolgen und im Falle einer Niederlage sogar ganz wegfallen.

Das Christentum in Form der katholischen Lehre lehnte Machiavelli ab. Er meinte, dass das Christentum zu Demut und Zurückhalten erziehe. Außerdem würde es den Menschen vermitteln, dass es nicht lohne, im Diesseits etwas zu tun, wenn doch das Leben erst im Jenseits wirklich lohnenswert wäre. Damit untergrabe, so Machiavelli, das Christentum die Entwicklung von virtù in den Menschen, denen es daher nicht gelinge, sich selbst zu befreien. Auch wandte sich Machiavelli gegen die Institution der Kirche, die er für den Sittenverfall in Italien verantwortlich machte.

Machiavellis Werk erfuhr eine Reihe von Deutungen, die von der reinen Lehre der Technik der Macht bis zum Aufruf zur Befreiung und Einigung Italiens reichten. Er entdeckte im Prinzip der Staatsräson das Grundgesetz der modernen europäischen Staatenwelt. Die Auseinandersetzungen um Machiavelli begleiten die ganze moderne Ideengeschichte bis hin zur Faschismustheorie und dem Begriff des Totalitarismus. Schon früh bildete sich die gegen die Machiavellianischen Anschauungen gerichtete Strömung des Antimachiavellismus, der zur Hauptsache Kleriker, Adelige, humanistische Philosophen, Freigeister, Aufklärer und Ethiker anhingen. Sie brandmarkten Machiavelli als Menschenfeind. Ihre berühmteste Schrift ist wohl der Antimachiavell Friedrichs des Großen, ein scharfer Angriff auf die im Fürsten vorgeschlagenen Wege.

Dennoch gab es im Zeitalter der Aufklärung auch bedeutende Denker wie Diderot oder Rousseau, die im Fürsten einen versteckten Angriff auf die Gewissenlosigkeit und Selbstsucht der Despoten sahen. Später griff Johann Gottlieb Fichte Machiavellis Theorien erneut auf. Er erblickte in ihnen brauchbare Ideen für den aufkommenden Nationalismus in Deutschland, weil die Situation in Italien zur Zeit Machiavellis mit derjenigen Deutschlands am Anfang des 19.Jahrhunderts vergleichbar erschien. Auch Hegel versuchte Machiavelli in dieser Weise zu aktualisieren. Selbst Johann Gottfried Herder und Friedrich Nietzsche verfassten Werke über Machiavelli. (Quelle: wikipedia.de)

Was lernen wir vom „Denker der Despoten“? Nun, zunächst liefert er uns in klaren Worten ein realistisches Machtkonzept. Genau so verhalten und verhielten sich Tyrannen rund um den Globus zu allen Zeiten. Machiavelli beschreibt ein idealtypisches Machtkonzept, welches auf Alleinherrschaft beruht und somit natürlich jedem modernen Staatsverständnis widerstrebt. Allerdings tauchen Diktaturen nach machivellistischem Vorbild immer wieder als Gegner der modernen Demokratien auf.

Wir lernen weiter von Machiavelli, dass es durchaus legitime Gründe zur Anwendung von Gewalt geben kann. Dies werden wir im Zuge der so genannten „humanitären Intervention“ noch näher diskutieren. Auch das Kapitel Über Machtkonzepte wird sich mit der Thematik noch befassen.

Machiavelli ist für uns der Machttheoretiker, der gesellschaftliche Wirkungsweisen verstanden hat. Er liefert uns eine Größe zum Verständnis von Kräften in der Gesellschaft, deren Bedeutung ja oft unterschätzt wird, bis sie dann eruptiv zu Tage treten. Machiavelli vertritt ein realistisches Menschenbild, welches er aus der Geschichte rekurriert – das tun wir ebenfalls.

Die Ultima Ratio Machiavellis, das Volk zu beherrschen, um es „gut“ zu machen, wurde in der Geschichte von vielen Diktaturen angewandt – Egal, ob Nationalsozialisten, Kommunisten oder andere dogmatische Herrscher bishin zu Sekten wie Scientology – sie alle bedienten sich an Machiavellis Tipps zur absoluten Herrschaft.

Wir müssen lernen, dass diese Tendenzen immer noch auf der Welt und im Denken der Menschen präsent sind und das es keine Garantien gibt, dass nicht einzelne Gemeinschaften zurück in despotische Herrschaften fallen könnten. Das einzig positive, welches wir aus den Thesen der Florentiners mitnehmen, ist sein Drang zur Säkularisierung des Staates und seine Teilung der Herrschaft in der Republik.

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