Wir brauchen eine Bildungsrevolution. Jetzt.

spiegel.de

UPDATE 15.6.10 Spiegel: Bildungsverlierer: Ungelernt und chancenlos Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.

Alle Welt – und vor allem die Politik in ihren Sonntagsreden – redet von der Wichtigkeit der Bildung für unsere Zukunft. Derweil hängt Deutschland Jahrzehnte hinter den aktuellen schulischen Entwicklungen zurück – und produziert einen Haufen Schulabgänger, die weder für den Arbeitsmarkt tauglich sind, noch die Qualifikationen besitzen, sich jemals aus der gesellschaftlichen Unterschicht zu befreien.

Schlimmer noch – allen politischen Beteuerungen zum trotz wird schon wieder an den armen Menschen gespart – und an der Bildung ihrer Kinder gestrichen. Das ist ein Skandal.

Dreißig Jahre Reformstau sind bittere Realität für deutsche Eltern – und jeder, der das G8-Gemurkse mitmachen muss – sei es als Schüler oder als Elternteil – wird mir zustimmen, wir sind nicht nur von gestern. Wir sind teilweise von Vorvorgestern.

Was in der modernen Welt diskutiert wird – in Finnland führen sie gerade das Schulfach „Drama“ ab Klasse 1 ein, das Fach „Gesundheit“ gibt es schon – zeigt folgendes Video.

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Mehr Info hier.

Das heißt: Die moderne, auf die sich ändernde Umwelt reagierende Welt verwirft jetzt schon die 30 Jahre alten Reformen, die wir noch gar nicht begonnen haben! Während wir mit den notwendigen Bildungs-Strukturreformen nicht fertig werden, beginnt die fortschrittliche Schule schon die nächste, inhaltliche Stufe.

Wenn sie mich fragen, würde ich als Vater einer heute 13jährigen Gymnasiastin keine Kinder mehr in diesen Staat setzen – zu oft wurde uns Reform versprochen und zu oft hat die Bildungspolitik versagt. Zu oft stand ich als Alleinerzieher vor nicht existenten Betreuungsangeboten und zu oft wurde ich wegen meines Kindes diskriminiert. Und letztendlich werden die Chancen für die Kinder in diesem Land von verantwortungslosen Politikern gemindert, die zwar Renten garantieren aber Schulen nicht bezahlen. Wer keine Kinder hat, sollte keine Bildungspolitik machen. Und wer nie arm war, keine Sozialpolitik.

Wer heute seinen Kindern die Bildung nicht bezahlt, muss sich nicht wundern, wenn seine Kinder ihm morgen die Rente nicht bezahlen können. Oder wollen.

Ich mag die Sonntagsreden der CDU-Granden nicht mehr hören. Seit Jahren wird der Regierung von der OECD gesagt, dass sie in der Bildung mehr tun muss. Und nichts passiert – außer einem unsinnigen Etikettenschwindel bei den Hauptschulen. Derweil verschimmeln die Wände in den Gymnasien und immer mehr Unterricht fällt aus.

Bildungspolitik in Baden-Württemberg? Mangelhaft.

Schon jetzt beginnt der Fachkräftemangel in den Unternehmen im Land, es gibt schon zu wenig taugliche Bewerber für Lehrstellen, schon jetzt gibt es Massen von Schulabbrechern und Hauptschülern, denen eine Hartz4-Karriere bevorsteht. Und was tun wir? Sparen! Was wir an Kindern und Jugendlichen jetzt sparen, zahlen wir später in Folgekosten zigfach! Wir produzieren weiteres Präkariat – mit all seinen Folgen: Armut, Krankheit, Verantwortungslosigkeit, Kriminalität, Hoffnungslosigkeit.

Nicht gebildet sein verletzt die Würde des Menschen. Erst durch Bildung, durch das staatlich garantierte Erlernen von zeitgemäßen Kulturtechniken, werden wir autonome Subjekte, die zu Freiheit und Verantwortung sich selbst und anderen gegenüber fähig sind.

Schauen sie sich doch mal z.B. Stuttgart-Untertürkheim an: 25% Hartz4-Quote im Ortskern, kaum noch deutsche Kinder, leere Läden, Dreck, Belästigungen, Alkohol, Drogen. So kann die Zukunft nicht aussehen. Unsere Lebenswirklichkeit hat sich in den letzten zehn Jahren signifikant verschlechtert. Irgendwann kriecht diese Wirklichkeit aus dem Ghetto auch in die Halbhöhenlagen. Doch dann ist es zu spät.

Wir brauchen einen Wertewandel – die Separation der Milieus ist geschuldet einer Egoistengesellschaft, gekennzeichntet durch Staatsversagen, manifestiert im Zwang zur kommerziellen Nachhilfe-Industrie. Das fördert wenige und verletzt viele. Dabei ist die Lösung recht einfach: Ausgleich statt Konkurrenz, Miteinander statt Gegeneinander, Zusammenarbeit statt Einzelkämpfertum. Die gelernten Werte, in Schule und Familie, werden später in Organisationen projiziert. Das erklärt vieles von der gegenwärtigen Krise im Land, die nur vordergründig eine wirtschaftliche ist. In Wirklichkeit ist die Krise eine geistige, eine moralische, eine ethische. Sie ist Folge eines geopferten Gewissens zugunsten eines übersteigerten Narzissmus. Eine Horde von Egoisten macht eben noch keine echte Gesellschaft. Das sollten sich all unsere libertären Freunde hinter die Ohren schreiben.

Was wir bräuchten wären neue, in die Zeit passende Lehrpläne. Neue, kreative Fächer. Wir müssen weg von der Auswendig-Lern-Gesellschaft hin zur Informations-Verwertungs-Gesellschaft. Wir müssen die Schwachen und die Fremden integrieren und nicht separieren. Das ist die Zukunft, ob wir sie wollen oder nicht! Die Welt wartet nicht auf Baden-Württemberg! Die Welt wartet auch nicht auf Deutschland. Ob sie auf Europa wartet, zeigt sich in der aktuellen Krise erst noch. Wahrscheinlich eher nicht.

Ich sehe in den Verantwortlichen der Bildungspolitik in Baden-Württemberg nur altmodische Besitzstandswahrer, an denen die gesellschaftliche Realität vorbeigegangen ist – und an denen die wirtschaftliche Realität gerade vorbei zieht.

Das ist schade für unser in diesen Tagen ach so schönes Land. Und es wird sich bitter rächen – denn auch der Zustrom von jungen Frauen aus dem Osten, von dem die Region Stuttgart seit Jahren profitiert, nimmt langsam sein Ende – das Land jenseits des Limes ist mittlerweile leergesaugt.

Die gegenwärtige Bildungsmisere wird unser Wachstum und unseren Wohlstand auf Jahrzehnte beeinträchtigen – und die Lage ist weder mit weiterer Migration noch mit Reförmchen zu retten. Denn: Selbst wenn wir sofort unsere Schulen von Grund auf modernisierten, träte der Effekt erst in 15 Jahren ein.

Also quälen wir uns durch das System, mein Kind und ich. Lernen Unsinniges, Veraltetes und Überflüssiges. Und träumen von finnischen Schulen. Was für ein Drama.

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