Warum wurde Google nicht in Hohenheim erfunden?

Warum wurde Google nicht in Hohenheim erfunden? – Diese Frage stellte nicht irgendwer, sondern der Aufsichtsratsvorsitzende der HP Deutschland, Jörg Menno Harms auf einer Veranstaltung der Liberalen Hochschulgruppe Hohenheim vor ein paar Wochen. (Bericht hier). Nun, diese Frage kann ich ihm beantworten – schließlich war ich da. Als ich 1997 mit dem Studium der Kommunikationswissenschaften in Hohenheim begann, war ich voller Enthusiasmus. Computer waren seit den ersten VIC20 und 8086er PCs im elterlichen Betrieb mein Hobby. Ich brachte mir das Programmieren selbständig bei – mit Basic, Pascal und Assembler schrieb ich in den späten 80er Jahren die ersten Programme. 1994 programmierte ich meine erste Perl-Suchmaschine, weil ich meine Dateien im Netz nicht wiederfand. Google wurde 1998 gegründet. 1999 bauten wir ein soziales Netz für die Studierenden der Uni Hohenheim mit php und veröffentlichten eine Print- und online Studierendenzeitung.

An der Universität Hohenheim konnte Google nicht erfunden werden. Es gab seitens der Universität keinerlei Interesse an studentischen Aktivitäten. In den Rechnerräumen wurde zeitweilig das Programmieren verboten – angeblich aus Sicherheitsgründen. Chatten hingegen war erlaubt. Wir hatten keinen Zugang zu Servern und mit den damaligen PCs war das Entwickeln von komplexer Software nahezu unmöglich. Geld für schnelle Rechner hatten wir keins. Und von der Uni gab es keins.

Dennoch hatten wir irgendwie bald unseren Commnity-Code zusammen – und stellten es der Fachschaft der Studierenden vor. Die Resonanz war mehr als bescheiden – wir wurden schlicht ausgelacht. „Braucht doch niemand“, „wer soll das nutzen“ waren die Argumente der Studenten(!) bezüglich eines sozialen online-Netzes an der Uni. Zur gleichen Zeit entwickelte Marc Zuckerberg Facebook. Und der ist heute Milliardär.

Doch es kommt noch schlimmer. Ein Kommilitone von mir schaffte es gegen alle Widerstände, eine marktfähige Online-Befragungssoftware zu entwickeln und diese am Markt zu platzieren. Er nahm an Wettbewerben teil, entwickelte Businessmodelle. Er wurde regelmäßig abgeschmettert. Dabei hat er die beste Software am Markt. Nur: Unterstützung seitens der Uni, des Landes oder gar Risikokapital gab es nicht. Und so dümpelt die Software weiterhin als Einmannbetrieb dahin. Mit entsprechender Infrastruktur wäre sie heute ein Global Player. Doch das scheint gänzlich unerwünscht zu sein. Auch hier gilt in Deutschland der Nachname mehr als die Idee.

Es zeigen sich zwei Problemkreise. Erstens: Die deutsche Universität mit ihrem sturen Beamtentum ist innovationsfeindlich. Die dort ansässige Belegschaft ist nicht fit für den schnelllebigen IT-Bereich. Sie verharrt in alten, bürokratischen Strukturen und unterstützt zu wenig studentische Initiativen. Mit der Verschulung durch den Bachelor hat sich die Politik ein weiteres Kuckucksei ins Nest gelegt – denn anstelle den jungen Leuten das zu geben, was sie zum Entwickeln von neuen Ideen brauchen, nämlich Freiheit, Unterstützung und Ressourcen, werden sie in überladene Lehrpläne gequetscht. Und somit wird die Innovationskraft weiter abgesenkt.

Was aber viel schlimmer ist, ist das Problem der jungen Leute in ihren Köpfen selbst. Gerade im Wirtschafts- und IT-Bereich ist das vornehmliche Studienziel ein Vorstandsposten einer AG. Was wir aber brauchen sind junge Leute, die an Ideen arbeiten und ihr Herzblut in die Produkte stecken. Auch hier ist die spätrömische Dekandenz zu spüren: Jeder will das Geld verwalten, aber keiner will es erwirtschaften. Jeder denkt ans Controlling aber keiner an die F/E. Die Folge: Die Innovationskraft der deutschen Unternehmen sinkt und neue Trends werden immer nur nachgemacht und nur akzeptiert, wenn sie aus den USA kommen.

Google konnte nicht in Hohenheim erfunden werden, weil uns die komplette gedankliche und finanzielle Infrastruktur zur erfolgreichen IT-Gründung fehlt. Was wir brauchen, sind neue Lehrstühle mit jungen Professoren, mehr Freiheit in der Mittelverwendung, konsequente Förderung der Studierenden und Risikokapital aus der Wirtschaft. Das haben wir nicht und werden es wohl auch nicht mehr bekommen.

Deshalb kann ich jungen ITlern nur raten, in die USA, nach Kanada, Australien oder sogar nach Indien oder China zu gehen. Dort haben sie definitiv mehr Chancen, ihre Projekte zu verwirklichen als bei uns. Man muss kein Guru sein, um vorherzusagen, dass aus Deutschland in den nächsten Jahrzehnten keine entscheidenden Innovationen kommen werden. Übrigens: Der Nokia-Boom in Finnland war konsequente Folge einer Bildungsreform und ÖFFNUNG der Universitäten in den 70er(!) Jahren. Die Generation, die damals in den reformierten Schulen gelernt hat, hat in den 90ern die Handys entwickelt. Deutschland hat diese Reformen bis heute nicht gemacht. Also wird es auch in den nächsten 20-30 Jahren keine Innovationskraft mehr haben. Selbst wenn wir jetzt anfangen, wird es eine ganze Generation dauern, bis sich die Wirkung zeigt.

In Hohenheim konnte auch kein Amazon erfunden werden, kein Twitter, kein Myspace oder YouTube. Wir haben als Gesellschaft den Innovationszyklus der IT-Industrie nicht verstanden. Dass Ideen aus einer neuen Kultur des lockeren Schaffens kommen, in der Hierarchie, Statusdenken oder materielles Protzen keinen Stellenwert mehr haben – in der sich Unternehmer und Mitarbeiter duzen und in der ein erfolgreicher Mitarbeiter auch mal mehr verdienen kann als sein Chef. Und: In der alle Neugründungen nur mit Risikokapital in Millionenhöhe funktionieren.

Das alles leistet unsere Gesellschaft nicht. Wir beschäftigen uns mit Hartz4-Debatten, obwohl wir alle Kraft und Energie in Zukunftsdenken stecken sollten. Wir nivellieren uns immer weiter nach unten. Wirtschaft ist zur Hälfte Psychologie. Und Innovation ist zu 80% Enthusiasmus. Glauben an eigene Träume und verwirklichen derselben. Unser gegenwärtiges Bildungssystem tötet Enthusiasmus ab und opfert die Träume junger Menschen zugunsten einer unbezahlbaren Rentenversicherung. Und niemand in der Politik tut etwas dagegen. Im Gegenteil: Menschen, die von IT keine Ahnung haben, erlassen unsinnige Gesetze und wettern gegen Google oder Amazon. Typisch deutsch: Kritisieren aber nichts Eigenes dagegen setzen können. Außer Zensur und eine widersinnige Abmahnindustrie.

Wir fallen zurück – nicht nur im Einkommen – auch in der Innovationskraft, in der Dienstleistung, in der Vernetzung. Deutschland ist wegen des Telekom-Monopols Schlusslicht bei der neuen Glasfasertechnologie FTTH oder bei der Einführung des neuen Breitband-Mobilfunks LTE. Konsequenz: Auch die Anwendungen, die auf diesen neuen Netzen laufen und dann später Börsenwert und Umsatz generieren, werden nicht in Hohenheim erfunden, sondern in Seoul, Tokio, Seattle, Stockholm oder Helsinki.

„Land der Hilfsarbeiter“
Polen werde schon in 20 Jahren wirtschaftlich besser dastehen als Deutschland, lautet die These des CEPS-Leiters Daniel Gros, die er in dem Buch „Nachkrisenzeit“ gemeinsam mit der Journalistin Sonja Sagmeister aufgestellt hat. Der Aufholprozess gehe in den neuen EU-Ländern Osteuropas deutlich schneller voran. „Deutschland ist alt, satt und behäbig geworden.“ Die Deutschen seien selbst in der Krise nicht gezwungen gewesen, radikal umzudenken. Laut Studie gibt es im deutschen Bildungssektor zu viele Schulabbrecher und zu wenige Uni-Absolventen. Das werde Deutschland in der nächsten Generation „zum Land der Hilfsarbeiter“ machen, sagte Gros. Verknüpfe man die Akademikerquote mit den Resultaten der Pisa-Studie, liege Warschau vor Berlin.
Zu wenig Investitionen in Bildung
Fast nirgendwo in Europa seien so wenige Arbeitskräfte in Kindergärten, Schulen und Universitäten beschäftigt wie in Deutschland. Mit einer Quote von sechs Prozent liege Deutschland weit hinter Großbritannien mit neun und Polen mit sieben Prozent. Jeder fünfte Jugendliche komme nicht über das Hauptschulniveau hinaus.

http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/14/0,3672,8039726,00.html

Jörg Menno Harms hat recht, wenn er eine neue Innovationskultur fordert. Doch als HP war er an der Uni nicht präsent. Da sieht man mal wieder die Lücke zwischen deutschem Anspruch und der Wirklichkeit.

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