Tante Angelas Märchenstunde

Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gast auf dem Stuttgarter Marktplatz – Ein Erfahrungsbericht

Der Stuttgarter Marktplatz fasst ungefähr 10.000 Menschen. Heute ist er mit geschätzten 8.500 rappelvoll, weil die CDU die Rednerbühne samt Musikalien-Anhänger nicht an den Rand, sondern nahezu in der Mitte des Platzes aufgestellt hat. Ein Schelm, wer dabei böses denkt. Aber so bekommt man den Platz immerhin sicher voll. Wir, das heißt, ich mit meiner Tochter (12), meiner Schwester (15) und meinem Hund (1,5) stellen uns unbewusst taktisch geschickt an der Rathausseite auf, um am Rand des Geschehens zu bleiben, und dennoch vom großen Monitor alles sehen zu können.

Eine glückliche Platzwahl, wie sich zeigt, denn prompt bauen fleißige Helfer der Jungen Union einen Korridor aus Seilen vor uns auf – die Kanzlerin schreitet hindurch zur Bühne. Hautnah, kaum einen Meter entfernt, läuft die „mächtigste Frau der Welt“ (so wurde sie angekündigt) an uns vorüber. Bleibende Eindrücke für meine beiden Teenager – so nahe an eine Kanzlerin kommt man schließlich nicht alle Tage.

Die Veranstaltung beginnt, inszeniert und künstlich, mit einer „lockeren“ Interviewrunde. Nachdem die eher krächzende Band „Modernes“ aus den Neunzigern von sich gegeben hatte, war der schmalzige Moderator ein weiterer Tiefpunkt. Es wurde gesmalltalkt – und für eine Volkspartei wahrscheinlich unheimlich wichtig – mindestens fünf Minuten lang über Fußball geredet. „Haben die denn keine wichtigeren Themen?“, dachte ich. Doch es kam noch schlimmer. Nach der „famosen“, nichtssagenden Talkrunde wurde noch einmal Musik gespielt. Zu „Simply the Best“ wurde dann zwanghaft steif geklatscht – auf der Bühne wie im Publikum. Zum Glück hatte ich meine Videokamera dabei. Die Komik des Moments ist einfach köstlich. Ich werde ein Youtube-Video daraus machen. In der Rubrik „Comedy“.

Den politischen Teil eröffnete Ministerpräsident Günther Oettinger, dem man den Wahlkampf angesichts seiner kratzenden Stimme auch anhörte. Oettinger redete dasselbe wie immer – Baden-Württemberg und Jobs und Spitze und Arbeitslose und Wirtschaftskrise und Technologieregion und Wissenschaftsstandort. Die Linken und die Piraten im Publikum skandierten unverständliche Sprechchöre und buhten Oettinger weitestgehend aus. Er schien sichtlich irritiert über die Reaktionen des Publikums – was er mit immer lauter werdendem Krächzen zu übertünchen versuchte. Ich hörte schon nach ein paar Minuten nicht mehr hin. Er sagte eh nur dasselbe wie immer.

Dann, endlich, kam Merkel ans Mikrofon. Ja, sie war es leibhaftig, die Kanzlerin der Republik. Die Augen einiger älterer Zuhörer begannen zu leuchten. Aber die große Mehrheit der Menschen blieb auffällig still. Erwartungen waberten in der Luft – würde sie uns auch Antworten liefern?

Merkel redete zu 20 Jahren deutsche Einheit. Über sich selbst, wie sie Kanzlerin geworden sei. Sie redete über die „über uns hereingebrochene“ Wirtschaftskrise, ohne die ja die deutsche Wirtschaft glänzend (dank der CDU) dagestanden sei. Sie verkaufte die Senkung der Arbeitslosenzahlen als CDU-Verdienst in der großen Koalition. Na ja, dachte ich. Die Drecksarbeit hatten andere ja schon vorher gemacht…

Ich wartete auf Merkels Paradedisziplin: die Außenpolitik. Doch es kam nichts. Merkel sagte zu Opel kein Wort, zu Afghanistan kein Wort und, was mich am meisten irritierte, am 11. September sagte sie zum Terrorismus kein Wort! Was, bitte schön, soll ich von der Richtliniengeberin der deutschen Politik halten, die in ihrer Wahlkampfrede nicht einen Satz über die wichtigsten Krisen der Welt verliert?

Zugegeben, Merkel wirkte müde. Sie verzettelte sich in Buletten und Fleischküchlein. Sie sprach über das Essen lieber als über die Wirtschaft. Dann, plötzlich, forderte sie Steuersenkungen. „Was habt ihr denn gemacht, in der Regierung? Die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte ERHÖHT!“, dachte ich mir. Und dachte spontan an Heinrich Heine. (…sie predigen Wasser, und trinken den Wein…)

„Die internationalen Finanzmärkte brauchen Regeln“, sagte die Kanzlerin. Meine Herrn, dachte ich, ihr habt doch mit Zweidrittelmehrheit regiert, ihr hättet das alles doch längst machen können! Merkel forderte Anstand von Managern die, wie im Falle Arcandor, nicht mehr „normale“ Verdienste hätten. Nun, dachte ich, und sie, Frau Bundeskanzlerin, zahlen den Herren noch die Geburtstagsfeiern. Soviel zur normativen Kraft des Faktischen bei der CDU.

Vielleicht lag es daran, dass die neue kroatische Regierungschefin anwesend war, aber auch zum Schluss ihrer Rede kehrte Merkel abermals zur deutschen Vereinigung und zu den ungarischen Grenzbeamten von 1989 zurück. Das kam im Publikum sichtbar schlecht an. Der Südwesten leidet chronisch unter dem durch den Ost-Soli verursachten Investitionsstau. Überhaupt schien sich die Kanzlerin im Schwabenland nicht sonderlich wohl zu fühlen. Es war ihr sichtbar schwierig, den Nerv des Publikums zu treffen – wahrscheinlich erwartete die erzkonservative Südwest-CDU die Mecklenburgerin eh mit erheblichem Skeptizismus.

Als dann am Ende der Veranstaltung das Deutschlandlied gesungen wurde, kamen doch vereinzelte Emotionen auf, nicht jedoch wegen der Kanzlerin oder der CDU. Es wurde langsam dunkel und im Dämmerlicht war sogar der ansonsten recht hässliche Stuttgarter Marktplatz ein wenig romantisch. Mit „Angie“, gesäuselt von der schon angesprochenen Band, ging dann der Auftritt zuende. Was vor ein paar Jahren noch als mutig gegolten hätte, wirkte jetzt eher zu plump. Immerhin hatten sie bei der CDU keine Volksmusik gespielt. Auch das habe ich bei den schwarzen Genossen schon erlebt.

Was bleibt von der Hauptveranstaltung der CDU in Baden-Württemberg im Wahlkampf des  Jahres 2009? Viel Masse, wenig Inhalt, würde ich sagen. Viel Volk, wenig Partei. Viel Tamtam, wenig Konkretes. Immerhin wurde die FDP drei-, viermal lobend erwähnt. Aber das war’s dann auch. Konkrete Ziele, Pläne, Vorstellungen von zukünftiger Politik? Fehlanzeige. Frau Merkel agiert nicht. Sie re-agiert. Von ihr gehen zur Zeit keine Impulse mehr aus. Ihr deutlichstes Statement war ihr letzter Satz: „…dass ich weitere vier Jahre ihre Bundeskanzlerin bleiben darf“. Darum ging es heute Abend. Um das persönliche Schicksal von Frau Merkel, nicht um Deutschland, nicht um Europa und nicht um die Welt, die man besser machen will.

Ich mache seit elf Jahren Wahlkämpfe mit. Und nach ein paar hundert Veranstaltungen fange ich langsam an, mir ein Urteil zumuten zu können. Für eine große Partei, die auch noch mehrheitlich regiert, war sowohl das Organisatorische als auch das Inhaltliche unterdurchschnittlich. Die Gesichter der Menschen strahlen nach den Veranstaltungen mit Guido Westerwelle. Hier und heute nicht. Sicher, wir als FDP muten unserem Publikum eine ganz andere intellektuelle Ebene zu, als die extrem langsaaaam und einfach artikulierende Kanzlerin. Doch wenn es einer Verflachung der Diskussion verlangt, um Volkspartei zu werden, sollten wir damit keinerlei Probleme haben – es sei denn, wir bleiben bei unserer geballten Ladung an politischen Inhalten, die wir in unseren Veranstaltungen vermitteln.

Fakt ist, die Opposition hat der FDP sichtbar gut getan. Im Vergleich zur Union ist bei uns in den letzten Jahren gedacht worden, inhaltlich und konzeptionell gearbeitet. Das spürt man. Und: Es kommt auch beim Wähler an. Somit hat diese Veranstaltung zumindest einen Teil der Ursachen des Erfolges der FDP sichtbar gemacht – Wir bewegen uns, während die anderen stehen geblieben sind. Weiter so, FDP, weiter so, Guido Westerwelle. Das packen wir.

Die CDU jedenfalls hat mich nicht überzeugen können. Schön, dass ein paar Junge Liberale durchs Publikum gingen und Flyer zu Bürgerrechten verteilten. So kam das Publikum wenigstens zu ein bisschen politischem Inhalt.

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