Es gibt keine Gerechtigkeit

Stellen Sie sich vor, jemand begeht hundert Körperverletzungen, zehn Mordversuche, verursacht einen Schaden in Hunderttausenderhöhe, jeder weiß, wer es war – und niemand wird dafür belangt. Ja, das gibt es. Und das gibt es in so manchem Leben, viel näher, als man meint – in der eigenen Familie.

Als ich sieben Jahre alt war, hat mein Vater meine Mutter beinahe erwürgt. Sie war schon blau. Er hat sie geschlagen, vergewaltigt, erniedrigt. Bestraft wurde er dafür bis heute nicht – noch nicht einmal angeklagt. Ist das Gerechtigkeit?

Mich hat er mehrfach versucht umzubringen, mit dem Messer, mit der Axt, mit Tritten und Schlägen. Bislang hat es nicht gereicht. Doch gehindert daran hat ihn bis heute niemand. Trotz Anzeigen und Platzverweisen. Wenn das Monster im eigenen Haus wohnt, werden die helfenden Stimmen schnell lautlos. Es verhallen die Rufe nach Gerechtigkeit im Alkoholdunst der saufenden Prügelväter. Man hört halt weg. Wo ist da der viel umworbene so genannte „Recht-Staat“?

Mir erscheint unsere Gesellschaft absurd. Einerseits werden wir täglich mit Normen belehrt, uns werden Strafzettel wegen Falschparkens oder ein paar zu schnell gefahrenen Kilometern auferlegt. Und gleichzeitig geschieht in vielen Familien unfassbares, grausames, Kinderseelen zerstörendes, nie gesühntes Unrecht.

So auch in meiner. Erst jetzt, mit 40 Jahren, habe ich den Mut, mich dagegen zu wehren. Wenn es sein muss, auch mit Gewalt. Dass ich heute überhaupt noch existiere, um diese Zeilen zu verfassen, ist reines Glück. Zu oft wurde versucht, mich, den Irrtum, auszulöschen, zu vernichten. Wir leben, leider, auch in einer Kultur des Wegschauens. Es kann eben oft nicht sein, was nicht sein darf. Wir verbieten Gewaltspiele und lassen Gewalttäter straffrei laufen. Wir verpönen den Krieg und lassen die langsame Tötung im Privaten zu.

Kinder werden in den Neckar geworfen, verbrüht, getötet, in den Kühlschank gepackt, verhungern gelassen – und das ist nur die Spitze des Eisberges!

Ich wurde und werde von meinen Eltern nicht geliebt. Das ist ein Fakt. Als ich meine Mutter einst fragte, ob ich denn gewollt war, antwortete sie mit einem lapidaren: nein. Aber gelten für mich damit die Normen und Regeln des Grundgesetzes nicht mehr? Die Würde des Menschen ist unverletzlich, es sei denn, der Verletzer ist der eigene Erzeuger?

Heute Abend war ich in der Kindernotaufnahme des Olga-Krankenhauses in Stuttgart. Dort, wo auch die Fälle des „Hinfallens“ oder des „Unfalls“ ankommen. Meiner Schwester wurde von einem Schäferhund gebissen, und ich fuhr sie hin. Unser Vater hatte sich geweigert. Und in mir regte sich eine riesige Sehnsucht, ein Aufschrei ging mir durch Mark und Bein.

Schaut hin! Tut was! Lasst es nicht zu, dass Eltern ihre Kinder missbrauchen. Ich finde es eine Schande, dass eine zivilisierte Gesellschaft es nicht schafft, soziale Kontrollstrukturen zu schaffen, die unsere Kinder vor ihren schlagenden Eltern schützt.

Meine Vergangenheit, meine Kindheit und Jugend wird mir so also zum Auftrag. Ich habe bislang gezögert, in meinen Texten Roß und Reiter zu benennen. Ab heute ist das anders. Am „Vater“tag 2009.

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