Oder: Warum eine taktische Fehlentscheidung Barack Obama das Präsidentenamt der USA kosten könnte.
Es war wieder einmal eine lange Nacht vor meinem Lieblingssender. CNN hatte schon die ganze Woche auf den Parteitag der Republikaner hingesendet – nur Hurrikan Gustav machte der Show fast einen Strich durch die Regieanweisung. Der eine Sturm zog vorbei, der andere direkt aus Alaska nach Minneapolis: Sarah Palin – Ambitionierte Gouverneurin aus Alaska, 44 Jahre Jung und stramm Konservative (http://de.wikipedia.org/wiki/Sarah_Palin) Mutter von fünf Kindern, wehte die Herzen der Republikanischen Delegierten in einer fulminanten Rede geradezu tornadoartig davon.
Doch zurück zum Hauptdarsteller: Zum „Maverick“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Maverick), zum Ausreißer der Republikaner, zum Kriegshelden und Landesretter, zu John McCain. Der Mann hat mit 72 etwas geleistet, was hierzulande kaum 42jährige zustande bringen. Er hat, in eigentlich völlig aussichtsloser Lage, den Republikanern das Spiel um die US-Präsidentschaft erneut eröffnet. Und wie er das tat: Erst stach er das große Geld des Mitt Romneys und die unbändigen Evangelikalen des Mike Huckabee aus.
Und jetzt hat er SIE. Die Frau.
Ja, eine Frau könnte das Rad der Geschichte viel weiter drehen, als sie sich jemals hätte vorstellen können. Warum? Was Obama nicht gewagt hat, das „Dream-Team“ der Demokraten aufzustellen, nämlich Hillary Clinton als Frau an seine Seite zu holen – als Krankenversicherungsexpertin zum Beispiel – das macht in einem exorbitant gelungenen Streich jetzt die Kampagne um John McCain.
Ein genialer Schachzug, genau nach amerikanischem Geschmack. Das ist der Vorteil, wenn man nichts zu verlieren hat – man kann Risiken eingehen. Obama hingegen muss zusehen, dass er nicht rücklings von seiner Erfolgswelle fällt. Und da war er (oder seine Berater) zu vorsichtig.
Die Zeit in den USA ist reif für eine Frau an der Spitze. Spätestens seit Madeleine Albright ist das so. Genauso wie seit Colin Powell die Zeit reif für einen Farbigen an der Spitze ist. Doch im Team wiegt, glaube ich, das Geschlecht mehr als die Hautfarbe. Und ehrlich gesagt, gefällt mir das Team McCain/Palin besser als Obama/Biden. Obamas Überraschungsmoment ist seine Herkunft. Doch die Story ist alt. Palin hingegen ist heiß. Nicht nur politisch. Und das mag die Presse ganz besonders.
Auch die Strategie gefällt mir: Man macht sich den größten Nachteil seines Gegners (=Obamas außenpolitische Unerfahrenheit) eben NICHT zu Nutze, sondern lenkt die Aufmerksamkeit mit demselben Argument auf seine Vize-Kandidatin. Genial. Nun wird das Thema Außenpolitik immer zugunsten des „Papas“ McCain ausgehen. Denn die außenpolitische Inkompetenz sitzt ja gleich mit dabei… Da können die Republikaner immer sagen – „ja, seht ihr, bei uns macht die Nummer eins die wichtigen Sachen!“
Noch eine Sache, die mir bezüglich der deutschen Presse auffällt – landauf landab wird die Rede McCains als „schwach“ oder „schlecht“ beschrieben. Ist das nun verzerrte Wahrnehmung? Ich jedenfalls habe die Rede als gelungen, stark und dem Zielpublikum angemessen empfunden. Ich fand ihn einfach gut, den „Maverick“. Er ist ein Kämpfer, dieser John McCain. Und wer weiss, vielleicht schafft er es ja tatsächlich, die lebende Legende zu kippen. Ich mag nunmal Außenseiter, wahrscheinlich weil ich selbst immer einer war. Und, das ist unbestritten, die US-Republikaner haben weltweit die beste Kampagnenmaschine. (Auch wenn jetzt einige der Macher in Obamas Camp sitzen).
Vielleicht schläft der geneigte deutsche Zeitungsredakteur ja, wenn CNN sendet. Und kennt sich bei Youtube noch nicht so gut aus. (Das psychologische Konzept der verzerrten Wahrnehmung besagt, dass wir das Gewünschte stärker wahrnehmen als das den eigenen Prämissen entgegen Stehende)
Also, alles ist offen im Land der tausend Möglichkeiten, und die nächsten Wochen versprechen einen spannenden US-Wahlkampf. Möge der bessere Kandidat siegen.
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