1.3.2.2 John Locke

John LockeJohn Locke (1632-1704) war ein englischer Philosoph. Er gilt als ein Hauptvertreter des englischen Empirismus und bildet zusammen mit George Berkeley (1684–1753) und David Hume (1711–1776) das große Dreigestirn der englischen Aufklärung und des aufkommenden Empirismus.

Seine politische Philosophie beeinflusste die Unabhängigkeitserklärung der USA, die Verfassung der USA, die Verfassung des revolutionären Frankreichs und über diesen Weg die meisten Verfassungen liberaler Staaten maßgeblich.

Er bietet mit seiner Vertragstheorie eine Alternative zu Thomas Hobbes an. In seinem Werk Two Treatises of Government argumentiert Locke, dass eine Regierung nur legitim ist, wenn sie die Zustimmung der Regierten besitzt und die Naturrechte Leben, Freiheit und Eigentum beschützt. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, haben die Untertanen ein Recht zur Rebellion.

1686 erschienen die anonym veröffentlichten Briefe über Toleranz, 1690 ebenfalls anonym Zwei Abhandlungen über die Regierung, im selben Jahr Versuch über den menschlichen Verstand in dem zumindest sein Name unter dem Vorwort stand; 1692 die bereits 1668 geschriebenen Betrachtungen über die Senkung des Zinssatzes und die Erhöhung des Geldwertes, in denen er sich für eine frühe Form des Freihandels einsetzte. 1694 schließlich die Thoughts Concerning Education.

Locke lieferte einen bedeutenden Beitrag zur Erkenntnistheorie. Locke verdanken wir den berühmt gewordenen Satz „Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre“. In seinem aus vier Büchern bestehenden Hauptwerk An Essay concerning Human Understanding untersucht Locke den Ursprung, die Gewissheit und den Umfang menschlichen Wissens in Abgrenzung zu Glauben, Meinen und Vermuten. Ausgangspunkt war Lockes scholastische Ausbildung in Oxford auf Basis des in England vorherrschenden Nominalismus.

Nach Locke ist das menschliche Bewusstsein ist bei der Geburt wie ein weißes Blatt Papier (tabula rasa), auf das die Erfahrung erst schreibt. Ausgangspunkt der Erkenntnis ist die sinnliche Wahrnehmung. Er unterschied äußere Wahrnehmungen (sensations) und innere Wahrnehmungen (reflections). Die inneren Eindrücke umfassen geistige Tätigkeiten wie Wahrnehmen, Zweifeln, Glauben, Schließen, Erkennen oder Wollen. Er untersucht die Rolle der Sprache, ihren Zusammenhang mit den Ideen und ihrer Bedeutung für das Wissen. Schließlich befasst sich Locke mit den komplexen (zusammengefassten) Ideen, von den Grenzen des Wissens und dem Verhältnis von Begründung und Glauben. Komplexe Ideen entstehen durch Vergleichen, Zusammensetzen, Abstrahieren und andere entsprechende Tätigkeiten des Verstandes.

Lockes wendet sich gegen die Vorstellung von eingeborenen Ideen, er zeigt einen aufklärerischen Charakter. Für ihn gab es keine Ideen a priori, sondern nur das Vermögen, Wahrnehmungen zu Abbildern, komplexen Ideen und Begriffen zu verarbeiten. Das Material der Erkenntnis sind Ideen. Deren Ursprung liegt in der Erfahrung. Durch die Untersuchung der Dinge selbst soll den Dogmen, Vorurteilen und den von Autoritäten vorgegebenen Prinzipien der Boden entzogen werden. Locke wendet sich vehement gegen die Annahme, dass auch die Gottesidee angeboren sei: denn es gebe viele Gegenden in der Welt, wo es keine entsprechende Gottesvorstellung gibt. Ein weiterer Punkt gegen die angeborenen Ideen ist bei Locke: Wenn es eingeborene Ideen gäbe, müssten diese auch bei geistig zurückgebliebenen Menschen vorhanden sein. Die Erfahrung zeige aber, dass das nicht so sei.

Es gibt also keine Kriterien zur Unterscheidung eingeborener von erworbenen Ideen. Grundsätze wie Gerechtigkeit oder das Einhalten von Verträgen müssen durch die Vernunft begründet werden, damit sie Allgemeingültigkeit erhalten.

Bei komplexen Ideen unterschied er Substanzen, Relationen und Modi. Substanzen sind Dinge, die eigenständig existieren einschließlich der Engel, Gott und anderer ‚konstruierter‘ Gegenstände. In Relationen drückt sich das Verhältnis verschiedener Ideen aus. Modi sind Ideen, die nicht die Wirklichkeit abbilden, sondern geistige Konstrukte, beispielsweise „Dreieck“, „Staat“ oder „Dankbarkeit“.

Wie sicher ist aber das Wissen um das Erkannte? Lockes Empirismus begrenzt die Erkenntnis auf die Erfahrung. Was jenseits der sinnlichen Erfahrung liegt, das Wesen der Dinge, könne nicht erkannt werden. Auch über die Natur lässt sich nichts Endgültiges sagen. Mit Hilfe der Vernunft kann der Mensch die Sinne nicht übersteigen(!). Er kann nur Hypothesen als Leitfaden für die Forschung und Experimente aufstellen. Absolute Gewissheit ist auf empirischen Wege nicht möglich. Im Bereich der Hypothesen arbeitet der Verstand mit abstrakten Begriffen wie Art und Gattung, indem er von der Erfahrung abgeleitete, aber abstrahierte komplexe Ideen wie Relationen und Modi verwendet. Solche Ideen wie die des Dreieckes haben nicht nur nominale, sondern auch reale Essenz. Deshalb ist es in den abstrakten Wissenschaften wie der Mathematik auch möglich, unanfechtbare Wahrheiten zu finden.

Da Gerechtigkeit, Dankbarkeit oder Diebstahl auch als Modi einzustufen sind, zählte Locke die Moral zu den abstrakten Wissenschaften, für die man diese allgemeinen und sicheren Wahrheiten mit Hilfe der Vernunft herleiten kann. Wir wollen uns diesen Punkt für später merken – Lockes Erkenntnistheorie wird uns noch zu späterem Zeitpunkt beschäftigen.

Toleranzidee und Erziehungsgedanken

In seinem Letter Concerning Toleration geht Locke auf das Verhältnis zwischen Staat und Religion ein. Er spricht sich dafür aus, dass der Staat die Religion größtenteils seinen Bürgern überlasse. Religiös argumentiert er, dass sich nirgendwo in der Bibel ein Hinweis darauf finde, dass Menschen mit Gewalt dazu gezwungen würden, ihre Religion zu wechseln.

Innerhalb der philosophischen Argumentation greift er zum einen Gedanken aus seinen Two Treatises auf: der Daseinszweck der Regierung sei es, Leben, Freiheit und Eigentum zu schützen; würde sie in das religiöse Leben ihrer Bürger eingreifen, würde sie ihre Kompetenzen überschreiten. Dies wäre auch nicht sinnvoll, da es beim Glauben auf eine innere Einkehr und Überzeugung ankäme, die mit Gewalt und Verfolgung nicht erzwungen werden könne. Die rein äußerliche Annahme einer anderen Religion würde keinen Schritt zum wahren Glauben hinführen, aber in die Naturrechte der Untertanen eingreifen. Und selbst angenommen, die Regierung könnte auf eine Art die innere Überzeugung der Untertanen ändern, so wäre es immer noch fraglich, ob dies der wahren Religion helfen würde, da Regierungen an sich genauso anfällig dafür seien, eine falsche Religion zu propagieren wie ihre Untertanen.

Locke bemüht die Religion also zur Sicherung von moralischen Sätzen – der Staat an sich benötige sie nicht. Damit begründet er den Weg für den säkularen Staat der Moderne.

Gesellschafts- und Staatstheorie
 
Locke schrieb seine Werke vor dem Hintergrund der Konflikte zwischen Parlament und Krone. (Sie hierzu auch: 1688 the glorious revolution) Dabei stand das absolute Recht des Königs gegen die Ansprüche des Bürgertums auf Regierungsbeteiligung und eigene Rechte gegenüber dem König. Locke begründet, warum die Macht des Herrschenden eingeschränkt sein sollte.

In seinen Two Treatises of Government geht der Whig (Parlamentsanhänger) Locke von natürlich gegebenen Rechten der Menschen aus (Naturrecht). Er konstruiert einen Naturzustand wie Hobbes. Er setzt Annahmen über den Zustand des Menschen in Abwesenheit des Staates und deduziert von diesen, wie die Menschen im Naturzustand zusammenlebten.

Über die Anhäufung von Eigentum bildeten sich Gesellschaften. Mithilfe seiner Vertragstheorie begründet Locke, wie diese sich Regierungen gaben. Da diese Regierungen nur geschaffen wurden, um bestimmten menschlichen Zwecken zu dienen, kann er im folgenden legitime und illegitime Regierungen unterscheiden. Gegen illegitime Regierungen stellt er ein Recht auf Revolution fest.

Lockes Naturzustand stellt im Gegensatz zu Hobbes’ Behemot einen positiven Rechtszustand dar – der daraus entstehende Staat ist freiwillig per Vertrag freier Rechtssubjekte entstanden. Kommende Generationen stimmen ihm implizit zu, indem sie weder auswandern, noch revoltieren. Seine Prämisse ist ein vernünftiger, zu Verträgen fähiger Mensch.

Naturrechtslehre
 
Locke erklärt in seinen Two Treatises of Government Freiheit, Gleichheit und Unverletzlichkeit von Person und Eigentum zu den höchsten Rechtsgütern. Er geht dabei von dem Gedanken aus, dass das höchste Ziel und Zweck des Menschen das Leben sei. Locke begründet dies noch explizit damit, dass der Mensch durch Gott geschaffen sei.

„Der Mensch hat doch nicht die Freiheit, sich selbst oder irgendeinem in seinem Besitz befindliches Lebewesen zu zerstören, es sei denn ein edlerer Zweck als bloße Erhaltung fordere es.“

Er stellt auch fest, dass Gottes Wille durch reines Nachdenken und Weltbeobachtung erkennbar sei. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Argumentation auch ohne Gott funktioniert. Um dieses Überleben zu sichern, sind die Rechte auf Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum (Life, Health, Liberty, Property) notwendig.

Im Gegensatz zur Konzeption Hobbes‘ sind die Naturrechte bei Locke durch die Rechte anderer begrenzt. Während bei Hobbes im Prinzip jeder ein Recht auf Alles hat, werden die Rechte auf Freiheit und Eigentum bei Locke durch die Freiheits- und Eigentumsrechte anderer eingeschränkt. „Niemand soll einem anderen an seinem Leben, seiner Gesundheit, seiner Freiheit oder seinem Besitz Schaden zufügen.“ Aus dieser Einschränkung leitet er selbst deduzierte Rechte ab, diejenigen zu bestrafen und Ausgleich gegenüber denen zu fordern, die sie verletzten.

Locke begründet als erstes Recht, das Recht „a man has to subsist and enjoy the conveniences of life.“ (I 97, II, 2-3) Das Recht ergibt sich zwingend aus seiner Begründung der Naturrechte. Wichtig ist hier, dass dieses Recht nicht nur die reine Selbsterhaltung einschließt, sondern auch die Freude am eigenen Leben.

Recht auf Freiheit:

„Der Naturzustand ist ein Zustand vollkommener Freiheit, innerhalb der Grenzen des Naturgesetzes seine Handlungen zu lenken und über seinen Besitz und seine Person zu verfügen, wie es einem am besten scheint – ohne jemandes Erlaubnis einzuholen und ohne von dem Willen eines anderen abhängig zu sein.“, schreibt er.

Locke definiert aber auch eine legitime Einschränkung der Freiheit: Die Sklaverei. Menschen können andere Menschen in dem Moment legitim versklaven, in dem letztere einen ungerechten Krieg beginnen und verlieren. Der Sieger hat, um den Krieg zu beenden, in diesem Moment nur die Wahl seinen Gegner entweder zu töten oder zu versklaven. Bietet aber der Verlierer als Akt der Reue eine angemessene Wiedergutmachung für das von ihm verschuldete Unrecht an, so muss der Sieger der Vernunft des Naturgesetzes folgen und den Kriegszustand beenden. Beide Parteien verfügen nun wieder über die absolute Freiheit, die dem Naturzustand inhärent ist.

Eigentum

Lockes Argumentation zum Eigentum verläuft zweistufig. In der ersten Stufe, der Arbeitstheorie, begründet er, wie Menschen überhaupt rechtmäßig Privateigentum erwerben können. Im ersten Schritt widerspricht er der absolutistischen These, die nur dem König legitime Eigentumsrechte zubilligt. Sie lautet, dass die Welt Adam, Noah und dann ihren Nachfahren, den Königen gegeben worden sei, um über sie zu herrschen. Nach Locke gab Gott die Natur allen Menschen gemeinsam. Begründungsbedürftig ist jetzt, dass Einzelne sich Privateigentum aneignen können und damit den anderen Menschen Zugriff auf diesen Teil der Natur verwehren.

Das Eigentum rechtfertige sich aus dem Selbsterhaltungsrecht: Der Mensch sei folgend dem Freiheits- und Selbstbestimmungsrecht nicht nur Eigentümer seiner selbst und damit auch seiner Arbeit, sondern auch berechtigt, der Natur ein angemessenes Stück zu entnehmen, um sich selbst zu erhalten.

Das Eigentum ist bei Locke zunächst durch mehrere Einschränkungen begrenzt: Man darf der Natur nicht mehr entnehmen, als man selbst verbrauchen kann. Es ist verboten, sich Früchte der Natur anzueignen und sie dann, im ursprünglichen Sinn des Wortes, verderben zu lassen. Andere Menschen müssen ebenfalls genug von der gemeinsam gegebenen Natur zurückbehalten, um selbst überleben zu können.

Geldtheorie: Ansammlung von Eigentum
 
In der zweiten Stufe, seiner Geldtheorie, legt er dann dar, wie die ursprüngliche Eigentumsordnung rechtmäßig in eine kapitalistische übergehen kann: Es ist erlaubt, verderbliche Gaben der Natur gegen weniger verderbliche einzutauschen, also beispielsweise Äpfel gegen Nüsse. Man darf mehr Nüsse besitzen, als man aktuell braucht, solange diese nicht verderben. Über diesen Zwischenschritt erlaubt er es dann auch, Naturprodukte, die man sich angeeignet hat, gegen Geld, das heißt Gold oder Silber zu tauschen. Dies allerdings ist bei Locke kein Recht im eigentlichen Sinn, sondern entsteht durch menschliche Übereinkunft und Akzeptanz.

Da Geld nicht verdirbt, darf man sich davon so viel aneignen wie man will und kann. Damit umgeht Locke die im älteren Naturrecht entwickelte und aufrechterhaltene Schranke für das private Eigentum, ohne sie zu verletzen.

Gesellschaftsvertrag und Regierung
 
Im Zuge dessen, dass Menschen Eigentumswerte ansammeln, nehmen aber auch die Ungleichheiten in der Gesellschaft zu. Im ersten Stadium sind Menschen an das gebunden, was sie persönlich produzieren und konsumieren können. Die Eigentumsverhältnisse werden relativ gleich bleiben.

In der fortgeschrittenen Geldwirtschaft werden die Eigentumsunterschiede beträchtlich, was zu Neid, Streitereien und häufigeren Verstößen gegen das Naturrecht führt. In der Theorie kann jeder jemanden bestrafen, der gegen das natürliche Recht verstößt. In der Praxis wird es jedoch meist das Opfer sein, das die Strafe ausführt. Da die Strafe aber im Verhältnis zur Tat stehen sollte und da das Opfer oft die Schwere des Vergehens überschätzt, kann es hier häufig zu Überreaktionen kommen. Durch die übertriebenen Strafen und kommt es zu  Auseinandersetzungen bis hin zum Krieg.

Laut Locke schließen sich die Menschen in diesem Moment zusammen, um den Vorgang abzubrechen und die eigenen Eigentumsrechte zu beschützen.

Locke baut auf die von Thomas Hobbes aufgebrachte Theorie vom Gesellschaftsvertrag auf, wonach die Beziehung zwischen Volk und Regierung als Verhältnis einer freien bürgerlichen Eigentümergesellschaft interpretiert wird. Dabei weitet er das Widerstandsrecht gegen die Regierung erheblich aus. Wir finden das Widerstandsrecht übrigens modifiziert auch in unserem Grundgesetz wieder. Locke bietet dem Bürgertum Gewalt und Revolution als ultima ratio an – mit nicht unerheblichen Konsequenzen, wie wir noch sehen werden.

Locke plädiert für die Aufteilung der legislativen Macht auf Repräsentanten, die nach Notwendigkeit zusammentreten. Sie werden regelmäßig von Volk gewählt. Locke skizziert also eine moderne repräsentative Demokratie.
 
Ausgehend von der Entwicklung des Gesellschaftsvertrages besitzt Locke Maßstäbe, nach denen sich die Legitimität oder Illegitimität einer Regierung entscheiden lässt: Legitim sind diejenigen Regierungen, welche die natürlich gegebenen Rechte des Menschen beschützen; illegitim diejenigen, die sie verletzen.

(Wir merken uns diesen Punkt und stellen uns den Irak unter Saddam Hussein vor.)

Die Regierungen werden bei Locke durch unabhängige Richter überwacht – jedoch nur im Bezug der Rechtmäßigkeit ihrer Gesetze im Hinblick auf das Naturrecht. Bei Locke klingt also das Prinzip der Gewaltenteilung schon an.

Da eine illegitime Regierung ihre eigene Existenzbegründung ad absurdum führt, ist es wiederum rechtmäßig gegen diese zu rebellieren.

Wirkung

Lockes Staatstheorie hat die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 1776, den französischen Verfassungsentwurf 1791 sowie die ganze Entwicklung des bürgerlich-liberalen Verfassungsstaates bis heute maßgeblich beeinflusst. Die Einleitung der Unabhängigkeitserklärung baut direkt auf Locke auf:

„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit. Dass zur Versicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingeführt worden sind, welche ihre gerechte Gewalt von der Einwilligung der Regierten herleiten; dass sobald eine Regierungsform diesen Endzwecken verderblich wird, es das Recht des Volkes ist, sie zu verändern oder abzuschaffen, und eine neue Regierung einzusetzen.“

Die Trilogie Life, Liberty and the pursuit of happiness ist eine literarisch adaptierte Version von Locke Naturrechten auf Life, Health, Liberty and Property, wobei in den ersten Entwürfen Property auch wörtlich im Text stand und Thomas Jefferson es erst später durch das weniger eindeutige Pursuit of Happiness ersetzte.

Neben den revolutionären Politikern der damaligen Zeit beeinflusste Locke aber auch die Entwicklung der politischen Theorie maßgeblich: die von ihm zugrunde gelegten Naturrechte sind bis heute Kernbestand des Liberalismus. Sie treten in verschiedenen Grund- und Menschenrechtserklärungen auf, so z.B. im Grundgesetz, in der US-Verfassung oder in der UNO-Charta.

Wir sehen: John Locke ist für uns der bislang bedeutendste Staatstheoretiker neben den Alten Griechen. Er nimmt vieles von dem vorweg, was sich heute in unseren westlichen Verfassungen wieder findet. Selbst die kommende Europäische Verfassung enthält in ihrer Präambel einen Absatz, der die Naturrechtslehre Lockes mehr oder minder direkt zitiert. Lockes Konzeption gilt zu Recht als Fundament der modernen Menschenrechtslehre, welches wir für unser Gedankenexperiment übernehmen. „Das Recht auf Freiheit, Frieden und Glückseligkeit“ für jeden einzelnen als Aufgabe des Staates ist eine hervorragende Maxime. Dass Locke dabei noch die Säkulare Ordnung fundiert, soll uns besonders freuen.

Seine Erkenntnistheorie wird im Kapitel zur Abstraktionstheorie wichtig werden – denn Locke nimmt den modernen empirischen Wissenschaftsansatz vorweg – auch wenn wir ihn kräftig reformieren müssen. Doch sein Denken über die Empirie war seiner Zeit weit voraus. Heute sehen wir eher eine Kombination aus genetisch ererbten Denkmustern und Erlerntem als Erkenntnis aufkommen – das ergibt zumindest die aktuelle Hirnforschung.

Nicht zuletzt finden wir bei John Locke die in der politischen Wissenschaft so verpönte Geldtheorie. Locke hat als einer der wenigen Theoretiker verstanden, dass die Wirtschaftsordnung eng mit der Staatsform korreliert. Seine Tauschprinzipien befreien den einzelnen Bauern vom Zwang zur Verwendung, indem sie Geld als „geronnene Güter“ zur Verfügung stellt. Durch die Zirkulation des Geldes wiederum wird in Kombination mit Lockes strikter Rechtslehre eine Wirtschaftsordnung, die die moderne Marktwirtschaft gedanklich vorbereitet.

Andererseits sieht Locke in der Anhäufung von Geld (modern würden wir von Kapitalakkumulation sprechen, siehe auch Kapitel 3 dieses Buches) die Ursache von „Neid und Gewalt“, die letztendlich zum Krieg führen kann. Um dieses zu verhindern, schließt der vernünftige Mensch freiwillig Verträge mit anderen ab. Er verzichtet dabei gerade auf so viele Rechte, wie ihm nützlich erscheint. „Wo es kein Eigentum, da gibt es auch kein Unrecht“, ist einer von Lockes Sätzen. Diese Rechte überträgt er an eine übergeordnete Macht. So entsteht der Staat bei Locke. Er ist eine Abstraktion aus Einzelrechten.

Fassen wir die Konsequenzen der Staatsbildung  nach Locke zusammen: Der Staat hat

– das Mehrheitsprinzip als Entscheidungsgrundlage
– das Ziel, das Leben, die Freiheit und das Eigentum seiner Bürger zu schützen
– das Naturrecht (=die Menschenrechte) zu garantieren
– einen verteilten Machtapparat, weil Macht korrumpiert
– dies gilt vor allem für die Exekutive und Legislative
– das Repräsentationsprinzip des Volks-Souveräns mit regelmäßigen Wahlen
– das Rechtsstaatsprinzip mit unabhängigen Richtern.
– die staatsferne Religion, d.h. das Säkularitätsprinzip.
– das Recht auf Widerstand und Emigration.

In dieser Konzeption ungeklärt bleibt, woher die vernünftigen Vertragspartner ihre Grundsätze beziehen. Die Existenz von Tugenden, Moralvorstellungen und Rechtsnormen führt Locke auf „den Willen Gottes“ zurück – für uns eine eher unbefriedigende Vorstellung. Auch kann Locke mit seinem Empirismus einige grundlegende Probleme nicht klären. Die konsequente Verneinung des a priori lässt sich angesichts moderner Evolutionslehren nicht durchhalten, genauso wenig wie die Göttlichkeit von moralischen Sätzen.

Sein Naturzustand gilt wohl heute zwischen den Staaten in weiten Teilen fort – sollten diese sich per Vertrag einmal zusammenschließen, müssten sie Lockes Theorie wieder bemühen. Wir werden uns ganz am Schluss dieses Buches mit diesem Thema beschäftigen.

Dennoch lässt sich aus Lockes Überlegungen folgendes ableiten:

Die Begründung für die Allgemeingültigkeit von Normen liegt in der Evolution des menschlichen Geistes. Aus der Erfahrung des kollektiven Gewissens entsteht ein Grundkonsens über die Fundamente des Mensch-Seins, die sich in positiven Rechten und abstrakten Erklärungen von Rechten niederschlagen.

Lockes Gedanken sind zu seiner Zeit auch insofern bemerkenswert, dass in Frankreich der Sonnenkönig Ludwig der XIV herrschte – der wohl absolutistischste König aller Zeiten, der nach alter Lehre alle Gewalt über sein Volk direkt von Gott persönlich bekommen hat.
 

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