1.1.1 Platon

Platon (wikipedia.de)Platon – Die Welt und die Idee

Als einer der drei großen griechischen Philosophen begegnet uns Platon. Platon lebte um 400 v. Chr. In Athen; er war also Athener Bürger. Geprägt durch die Hinrichtung des Sokrates, des großen In-Frage-Stellers des alten Athen, dessen Schüler Platon wohl war, begann er politisch aktiv zu werden. Er fing an, nach der Gerechtigkeit zu suchen – vornehmlich in Form des guten und gerechten Staates. Platon war Gründer der Akademie – einer Lehrinstitution, in der Mathematik, Rhetorik und Philosophie unterrichtet wurde.

Platons Werke sind uns alle überliefert. Er hat sie in Dialogform verfasst, und der Schaffungszeitraum erstreckte sich über erstaunliche 50 Jahre. Die Philosophie teilt seine Werke in drei Epochen – Jugend-, Übergangs- und Reifezeit. Bemerkenswert an Platon ist, dass er im Laufe seines Lebens auch seine Erkenntnisse revidierte, dazu aber später mehr.

Platons Ruhm begründet sich zunächst auf die sokratischen Dialoge. Der frühe Kriton behandelt Platons Lieblingsthema Recht und Gerechtigkeit; Sokrates sitzt verurteilt im Gefängnis und man möchte ihm die Gelegenheit zur Flucht geben, damit er so dem Tod entkommen kann. Doch nach einem Dialog Sokrates’ mit den Gesetzen Athens kommt er zu dem Schluss, der Einzelne habe sich aus moralischer Tugendhaftigkeit der Allgemeinheit zu unterstellen und er dürfe auch dann nicht gegen die Gesetze handeln, wenn er zu Unrecht beschuldigt würde.

Platon stellt also den damals unabänderlichen, göttlichen Ursprung des Gesetzes über das Recht des Einzelnen. Er nimmt den „impliziten Vertrag“ des Individuums mit der Gemeinschaft vorweg, nachdem jeder, der in einem Staat lebt, sich freiwillig und unkündbar dessen Gesetzen unterwirft und diesen Vertrag auch nicht brechen kann. Folglich stirbt Sokrates, ungerechtfertigt aber tugendhaft.

Wir nehmen aus dem Kriton-Dialog zwei Dinge mit – erstens die Frage nach der Gesetzesherrschaft und zweitens die Frage nach dem Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft. Beides wird uns bei später im Form der Vertragstheorie auch in der Moderne wieder begegnen.

In unserem Wertesystem ist das zu-Unrecht-Sterben für die Gemeinschaft eher ein Auslaufmodell – wir sehen es eventuell noch bei Wehrpflichtigen im Kampf-Einsatz – aber in anderen Kulturkreisen, und der moslemische drängt sich natürlich hier geradezu auf, ist das Martyrium heute mehr en vogue denn je.

Platon liefert uns im Kriton zunächst nur die Fragen – Antworten bleibt er uns weitgehend schuldig. Sokrates’ Lösung, sich unter allen Umständen den Gesetzen zu beugen ist unbefriedigend – schließlich wäre so jedes Mitläufertum zu rechtfertigen.

In der Politeia, dem Staat, sucht Platon, jetzt in seiner mittleren Phase, nach dem idealen Staat. Er entwirft eine Utopie mit dem Ziel, die Gerechtigkeit zu definieren, die er im idealen Staat zu finden glaubt. Für Platon ist der Staat der „großgeschriebene Mensch“, er argumentiert organisch. So hat in seinem Staat jede Bevölkerungsgruppe ihren Fähigkeiten entsprechende Funktionen: Die Bauern ernähren (Bauch), die Krieger beschützen (Hand), die Philosophen herrschen (Kopf). Sie sehen: Platons Staat ist ein Ständestaat mit organischem Vorbild.

Wie kommt er aber zu dieser Konstruktion? Nun, er konstruiert einen Begriff der Gerechtigkeit, der in etwa so lautet: Gerechtigkeit ist, wenn jeder seinen Beruf oder seine Berufung ausübt. Das erinnert uns doch sehr an die Nietzsche-, und Nazi-Parole: Jedem das Seine. Aufgabe des platonischen Staates ist es also, den Beruf des Mannes zu bestimmen. Wohlgemerkt – Die Berufung ist ex ante determiniert, also qua Geburt vorbestimmt, klassengebunden und der Einzelne kann sie nicht beeinflussen. Das, lieber Leser, erinnert uns doch verdammt deutlich an die Arbeiter-, und Bauernparolen des Kommunismus der 1950er Jahre.

Platon führt in seinem Idealstaat, der übrigens eine harte Zensur hätte – nur die (für Platon!) „richtige Musik“, keine Dramen, keine Trauerspiele und so weiter; Platons Staat wäre kommunistisch und totalitär, sogar das Alter der Fortpflanzung wäre staatlich festgelegt: Frauen 20-40 Jahre, Männer 25-55 Jahre, außerhalb dessen wäre Sex verboten, und die Partner würden staatlich verteilt. Platon würde die Kinder in staatlichen Einrichtungen in ihre Berufungen „züchten“. Auch das klingt irgendwie wieder modern, nicht wahr?

Trotz all dieser für uns undenkbaren Forderungen tut Platon auch etwas Modernes: er führt die vollkommene Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ein. Das wollen wir doch unbedingt in unseren Ideenkorb legen.

Platon hat uns aber doch noch mehr zu bieten: Er erfand neben der Utopie auch die Ideenlehre. Dernach besteht die Wirklichkeit eigentlich aus zwei Welten: Die Welt der Dinge und die Welt der Ideen. „Warum also erkennst du, dass ein Pferd ein Pferd ist? Weil du die Idee Pferd im Pferd siehst und diese Idee war vor dem Pferd da, ist ewig und verändert sich nicht. Daher wirst Du in jedem Pferd die Idee Pferd ewig erkennen“. So oder so ähnlich lautet eine Metapher, mit der die Ideenlehre begründet wird. Eine weitere berühmte ist das Höhlengleichnis des Platon: Die Menschen als Nicht-Philosophen sind Gefangene in einer Höhle und sehen nur durch das Feuer Schatten von Gestalten an der Wand. Irrtümlich, also in ihrer Unwissenheit, halten sie die Schatten für die realen Figuren – sie sehen eben nur die Reflexion der echten Menschen. So sehen wir als Reflexion der Ideen die Welt, meint Platon.

In Platons Körper-Analogie hat die Seele ihre Erkenntnis in der Ideenwelt – Der Mensch hat somit Vernunft. Die Vernunft ist absolut und ewig. Wenn er also einen Staat nach seinem Vorbilde baut, dann ist auch der Staat mit „Idee“ gebaut – von Vernunft. Das begründet die „Politeia“ den guten und gerechten Staat.

Bei Platon herrschen am Ende die Philosophen – die weisen Herrscher. Na ja, davon hat die Welt schon zu viele gesehen – auch unser Philosoph muss dieses im Laufe seines Lebens feststellen und seine Einstellung ändern.

Wir nehmen aus der Politeia aber folgendes mit: Bei der Staatskonstruktion hat der Mensch offensichtlich sowohl ein Gerechtigkeits- als auch ein Erkenntnisproblem.

Älter und weiser geworden verfasst Platon die dritte für uns wichtige Schrift: Die Nomoi, die Gesetze. Die Nomoi sind Platons „Staat 2.0“. Geläutert durch seine Lebenserfahrung stellt Platon fest, dass er die Vernunft des Menschen falsch eingeschätzt hat. Ich würde an dieser Stelle sagen, er hat sie nicht nur falsche eingeschätzt – er hat sie auch falsch begründet. Vernunft ist, so haben wir bis heute gelernt, eben nicht absolut, nicht individuell und nicht seelisch. Vernunft ist das Ergebnis eines Lernprozesses. Menschen müssen zunächst das vernünftige Denken lernen – und in unserer Welt heißt das vor allem selbständig Denken lernen. Dazu haben wir ein Bildungssystem entwickelt, welches einen Lernprozess in Gange setzt, als dessen Ergebnis dann eine moderne Vernunft des Einzelnen entwickelt werden kann. Bei Platon war die Vernunft von vorneherein gesetzt uns somit statisch.

Des Weiteren haben wir, mit einigen Problemen, das gebe ich gerne zu, gelernt, das Individuelle und das Gemeinsame zu trennen. Wir wissen heute, das kollektive „Vernunft“ etwas grundlegend anderes sein kann als individuelle „Vernunft“. Mehr noch – in der Spieltheorie (( http://de.wikipedia.org/wiki/Spieltheorie )) die in den letzten Jahrzehnten mit fünf Nobelpreisen bedacht worden ist!, haben wir festgestellt, dass es Situationen gibt, in denen der Einzelne für sich vernünftig, oder wie die Wissenschaftler sagen, rational, handelt – aber die Gemeinschaft als Ganzes dadurch zerstört wird. Der Psychologe spricht z.B. von „infantiler Regression“, wenn Zuschauermassen in Fußballstadien, die sich als Einzelne durchaus vernünftig verhalten, in der Gruppe plötzlich anfangen zu randalieren.

Es gibt also einen Unterschied im Allgemeinwohl und im Wohl des Einzelnen. Selbst mit der gleichen Zielsetzung (=maximaler Wohlstand für alle) und den gleichen Mitteln (=z.B. Konkurrenz) kommen wir eben nicht zwingend zum gleichen Ergebnis. Hier hat die moderne Wissenschaft Platons Modell gnadenlos widerlegt. Den Widerspruch zwischen Einzelinteressen und Gemeinwohl wird in den Sozialwissenschaften als Mikro-Makro-Problem diskutiert – er hat weitreichende Konsequenzen bis in wissenschaftliche und erkenntnistheoretische Methoden hinein. Der Widerspruch ist bis heute nicht geklärt und bedarf weiterer Forschung. Wir kommen darauf noch zurück.

Warum ist dies alles für unser kleines Gedankenexperiment so interessant? Nun, eine unserer Grundthesen ist, dass nur die Setzungen des Gemeinwohles für die Konstruktion der Institutionen eines Staates herangezogen werden können, während der Staat an sich auf die Schutzrechte des Einzelnen begründet. Also haben wir das Mikro-Makro-Problem auch in der Staatsbildung. Ein Faktum, welches dem frühen Platon noch unbekannt war.

In den Nomoi verändert er daher seine Sichtweise – vom „idealen Herrscher“ geht er über zur „Idealen Herrschaft der Gesetze“. Platon hat im Laufe seines Lebens gelernt- er argumentiert jetzt aus seiner Erfahrung, der Wissenschaftler würde sagen, empirisch. Er analysiert die existierenden Verfassungen seiner Zeit und kommt zu folgendem Ergebnis: Die beste Verfassung ist die Monarchie des vernünftigen Herrschers, die zweitbeste die Aristokratie, also die Herrschaft einer vernünftigen Gruppe, die Demokratie – also die Herrschaft aller steht an letzter Stelle in Platons Hierarchie. Diese Rangfolge gilt aber nur unter der Prämisse eines positiven Menschenbildes – kehren wir die Prämisse um, so ändert sich nach Platon auch die notwendige Staatsform: In diesem Fall bietet die Demokratie den besten Schutz vor dem schlechten Herrscher, dann die Aristokratie und die schlechteste aller Staatsformen überhaupt ist bei Platon die „entartete Monarchie“, die Schreckensherrschaft, die Tyrannis.

Wie wir sehen, hat die politische Wirklichkeit der letzten 2500 Jahre eindrucksvoll das negative Menschenbild bestätigt. Dies wird, empirisch begründet, unsere Forderungen nach Machtkontrolle und Menschenrechten entscheidend prägen.

In den Nomoi ist Platons Staatsziel also die gute Gesetzesherrschaft, derer das Volk freiwillig folgt und die Verhinderung von Machtmissbrauch. Diese als Staatsziele nehmen wir in gerne unseren Ideenkorb mit auf.

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