Kopflos in Berlin

Der Rücktritt unseres Bundespräsidenten ist ein Skandal. Er ist ein Skandal nicht, weil es der erste Rücktritt eines Bundespräsidenten überhaupt ist – er ist auch nicht ein Skandal, weil Horst Köhler als Person zurücktritt. Er ist ein Skandal, weil das politische System einen der Besten, welchen es überhaupt hat, gehen lässt.

In vielem hatte Horst Köhler Recht – nicht zuletzt mit seiner starken Kritik an den Finanzmärkten – die er, wie kaum ein anderer in der Politik, kennt – schließlich war er jahrelang IWF-Direktor. Doch niemand hörte ihm zu.

Horst Köhler forderte oft rasches Reagieren der Politik auf Ereignisse in der Lebenswirklichkeit der Menschen. Doch diese Reaktion kam nie.

Horst Köhler mahnte zu mehr Vernunft. Er wandte sich gegen politische Schnellschüsse, plädierte für eine nachhaltige Erneuerung unseres Wertesystems. Horst Köhler ist ein Konservativer im guten Sinne des Wortes. Und er fand in den Regierungen keine Beachtung.

Kopfloses Land

Und nun tritt er ab. Verlässt uns. Ja, er lässt uns inmitten der Krise alleine. Unser Land ist von jetzt auf gleich kopflos.

Wie an den zittrigen Börsen die Tage von himmelhoch jauchzend bis tief betrübt dahinziehen, so scheint sich nun auch die Stimmung im Lande zu bewegen – gerade noch gestern riesiger Jubel über den gewonnenen Eurovision Grand Prix – und heute stehen wir ohne Staatsoberhaupt da! Was für eine emotionale Achterbahn.

Wagen wir eine Prognose? In sechs Wochen sind wir Weltmeister. Und haben keine funktionsfähige Regierung mehr.

Weniger Pomp und mehr Hirn ist angesagt

Wir sollten das Amt des Bundespräsidenten neu überdenken. Wir sollten ihn/sie direkt vom Volk wählen lassen. Wir sollten dem Amt ein echtes Veto-Recht geben – es mehr in den politischen Prozess einbinden. Man kann kein Marionetten-Amt haben und Querdenker auf der Position haben wollen. Das kann nicht klappen.

Horst Köhler war zu gut für das Amt. Es wollte nie Spielball der Partei-Strategen sein. Er wollte Akzente setzen und eigene Gedanken verwirklicht sehen. All das hat ihm sein Amt nicht ermöglicht.

Wir brauchen in diesen Zeiten einen radikalen Beschnitt des politischen Pomps zugunsten von einer Politik des gesunden Menschenverstandes. Wir brauchen weniger Repräsentation und mehr Denken. Wir brauchen mehr Sachverstand und weniger Egoismus.

Leider haben sich in der Causa Köhler weder die Politik noch die Presse mit Ruhm bekleckert – und das ewige Nichts-Entscheiden der Koalition in Berlin macht die Sache nicht besser. Es fehlt nicht nur am Respekt gegenüber dem Bundespräsidenten – es mangelt an Respekt in der Gesellschaft ganz allgemein.

Leider wird kein Amt deswegen leer bleiben, weil die Guten gehen. Das gilt in der Wirtschaft genauso wie in der Politik. Die Zeit ist auch (noch) nicht reif für tiefgreifende Politik- oder Bewusstseinswechsel. Wir sind noch zu tief in der Ära Kohl verwurzelt, um wirkliche Schritte nach vorne machen zu können.

Koch, Köhler, Kanzlerin?

Es geht die Hoffnungslosigkeit um in der Politik – zugleich werden die Verlockungen des schnellen, lockeren Geldes immer frappierender. Der Staat schwemmt die Märkte mit Liquidität, wohl wissend, dass er damit die nächste Blase verursacht. Viele in der Politik wissen das – und nehmen jetzt eben noch mit, was geht.

Derweil ist das Land wegen Mangels an Anstand kopflos geworden – kopflos im Wortsinne, nämlich ohne Staatsoberhaupt – und kopflos im übertragenen Sinne, weil niemand in der Lage ist, der Nation Führung, Richtung und Halt zu geben.

Wo sind die Mutigen, die jetzt das Richtige wagen? Wo sind die Ideengeber für die Zukunft? Wo sind diejenigen, die nicht den Oberen hinterhergekrochen sind? Wo sind die Querdenker, die Macher? Sind die alle schon weg? Oder von der Wirtschaft gekauft?

Ja, ich nehme Herrn Koch die Käuflichkeit besonders übel („Die Politik ist nicht mein Leben“ – sorry, Beruf verfehlt!) – zu durchsichtig war sein Abgang, zu geschmacklos, zu protzig. Ich habe noch nie so oft das Wort „ich“ gehört wie in der kurzen Schluss-Pressekonferenz dieses „Landesvaters“. Mal ehrlich, was ist das für ein Vorbild? Frei nach dem Motto: Jetzt kommen die schweren Zeiten, ich bin dann mal weg, Geld verdienen. Bäääh.

Die höchste Tugend eines Politikers ist seine Nicht-Käuflichkeit. Und damit hat die CDU jetzt, nach rent-a-Rüttgers und buy-a-Koch ein echtes Problem.

Übrigens halte ich die Aussage von Horst Köhler über die Bundeswehr-Einsätze für alles andere als tragisch. Warum sollten wir den freien Welthandel nicht mit der Bundeswehr sichern (dürfen)? Zumal, wenn UNO-Mandate es so legitimieren? Nein, das ist nicht der wahre Grund des Rücktritts von Horst Köhler. Auch wenn es jetzt so gespielt wird.

Angela Merkel räumt auf?

Ich sehe nur eine Nutznießerin in diesem Schlammassel: Die Kanzlerin hat jetzt eine super Ausrede für die längst überfällige Kabinettsumbildung. So kann sie ein paar lame ducks aus der Regierung wegloben, in Ruhe die nächste große Koalition vorbereiten und derweil die FDP still kaufen.

Wir gäben viel für einen Bundespräsidenten, oder?

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