1.2.1 Die Römer – Das Imperium, Seneca, Cicero und Mark Aurel

Mark Aurel (wikipedia.de)Wenn wir von den Römern sprechen, müssen wir vor allem einen neuen Begriff einführen: Das Imperium. Ein Imperium bezeichnete zunächst den Machtbereich eines römischen Beamten. Das Amt wurde auch als Magistrat bezeichnet, ein Begriff den wir von so mancher Schreibstube auch heute noch kennen. Das Imperium Romanum stellt einen neuen Staatstyp dar, gestartet als Republik, über die Senatsherrschaft bishin zur Willkürherrschaft Neros machte dieses Riesengebilde, das Weltreich der Antike, einiges an Staatsformen durch, ohne jedoch an diesen zu zerbrechen.

Dies hat seine Ursachen in der Art des Staatsaufbaus des römischen Reiches. Eine klare Schichtung der Bevölkerung, die ständige gewaltsame Unterdrückung der Provinzen, immense Maßnahmen im Bau der Infrastruktur. Strassen, Brücken, Wasserversorgung, Häfen und Schifffahrtsrouten der Römer bestehen teilweise heute noch, gepaart mit einem immer anwesenden Kriegsethos und strikten Gesetzen, stabilisierten das Reich über Jahrhunderte und machten ein Staatsgebilde möglich, welches wir erst in der Moderne wieder sehen werden.

Was lernen wir aus dem Römerreich? Nun, erstens, dass ein erfolgreicher Staat nicht auf demokratische Prinzipien gegründet sein muss. Auch Diktaturen können Großes leisten. Zweitens lernen wir, dass eine Staatsführung nicht auf dem Vernunftsprinzip oder der Suche nach dem Guten beruhen muss. Auch die Führung mit dem Schwert, der Intrige, dem rohen Machtprinzip kann, auch über lange Zeiträume, stabil funktionieren. Drittens lernen wir von den Römern, dass Standards wichtig sind, wenn man multikulturelle Teile eines Staates integrieren will. Maße, Währung, Verwaltung und Recht: Nur die Vergleichbarkeit und Tauschbarkeit von Gütern macht einen erfolgreichen Handel im Imperium möglich. Dies erfordert natürlich Rechtssicherheit: Das spätrömische Zivilrecht bildete im kontinentalen Europa viele Jahrhunderte lang die maßgebliche Rechtsquelle und auch das BGB hat seine Wurzeln im wissenschaftlich bearbeiteten Corpus Iuris Civilis.

Weiterhin lernen wir aus Rom etwas über die Psychologie der Massen: Brot und Spiele (Panem et circenses): Der römische Dichter Juvenal kritisiert in seiner Satire das römische Volk, das in der Zeit der funktionierenden Republik die Macht an Feldherren verliehen und Beamte gewählt habe und sich jetzt ängstlich nur noch diese beiden Dinge wünsche. In dem riesigen ovalen Circus Maximus wurden sie mit Wagenrennen unterhalten, während sie sich im Kolosseum an Gladiatorenkämpfen und Tierhetzen ergötzten. Nebenbei wurde auch noch Brot in die Menge geworfen. Ein Schelm, wer dabei an den Kölner Karneval oder „Wer wird Millionär“, oder gar „Big Brother“ denkt.

Für die römische Religion zentral war das göttliche Wirken. Der göttliche Wille konnte sich in allen Lebewesen wie auch natürlichen und gesellschaftlichen Vorgängen und Handlungen äußern, so dass die römische Welt von einer Vielzahl von abstrakten Begriffen – aequitas, concordia („Einigkeit“), honos („Ehre“), libertas („Freiheit“), mens („Geist“), salus („Heil“), spes („Hoffnung“), virtus („Tugend“) – als Funktionsgöttern beherrscht war, die den Menschen kultisch und sozialrechtlich in die Pflicht nahmen. Die innenpolitische Verbindung von Politik und Religion war sehr eng.

Gegen Ende des römischen Reiches manifestierte sich der Wunsch nach einem Gott dann auch in der neuen Staatsreligion: Dem Christentum. Eine fundamentale Änderung im gesamten Denken über den Staat trat ein, doch dazu später mehr.

Von den römischen Denkern wolle wir uns drei etwas genauer anschauen: Cicero, Seneca und den „Philosophenkaiser“ Marcus Aurelius.

Cicero

Cicero studierte Recht, Rhetorik, Literatur und Philosophie in Rom. Nach seinem Militärdienst setzte er seine Studien in Griechenland und Kleinasien fort. Er studierte auch bei den Philosophen der Neueren Akademie. Er kehrte 77 v. Chr. nach Rom zurück und begann seine Karriere als Politiker und Rechtsanwalt und Philosoph. Cicero hatte seinen bemerkenswerten Aufstieg nicht nur seinem großen Rednertalent zu verdanken, sondern auch seinem Ehrgeiz und der oft als Opportunismus angesehenen Anpassung an die politischen Verhältnisse.

Cicero war Republikaner und Gegner Caesars. Er war Senator, Gerichtspräsident und römischer Konsul, welches das höchste Staatsamt während der Römischen Republik war. Cicero gilt als der bedeutendste Vertreter des philosophischen Eklektizismus in der Antike. Sein Denken enthält sowohl Elemente der Stoa wie auch solche Epikurs und anderer Denker.

Der Begriff Eklektizismus ist etwa zur Zeitenwende geprägt worden. Damals existierten verschiedene Philosophenschulen nebeneinander, und es gab Denker und Politiker, die Elemente der unterschiedlichen Positionen miteinander verbanden. So auch Cicero.

Cicero gilt als der bedeutendste römische Redner. 58 Reden sind im Originaltext erhalten, etwa 100 bekannt. Die Texte können grob in politische Reden einerseits sowie Verteidigungsreden vor Gericht andererseits eingeteilt werden, wobei auch letztere oft politischen Hintergrund haben. In seinem ersten erhaltenen Werk (De inventione I 1–5) erklärt er, Weisheit, Beredsamkeit und Staatskunst hätten ursprünglich eine Einheit gebildet, die erheblich zur Entwicklung der menschlichen Kultur beigetragen habe und wiederherzustellen sei.

Cicero trennt also nicht zwischen Rhetorik und Politik – eine Tatsache, die wir uns merken sollten und die uns im Laufe der Staatsgeschichte noch häufiger unterkommen wird.

Er hat einige Schriften zur Rhetorik verfasst, darunter z.B. Brutus, De inventione (Über die Findung) oder De oratore (Über den Redner). Zu Ciceros weiteren Werken zählen Gedichte und Übersetzungen, darunter auch von Platons Texten. Seine Reden bilden zusammen mit Caesars Schriften die Grundlage für das heutige Schullatein.

Nicht weniger wichtig sind aber auch seine theoretischen Schriften über den Staat und über die Gesetze. Auf Ciceros Begriff humanitas, der sich in seiner Rede über die Gesetze befindet, gehen später die Begriffe studia humanitatis für eine ganzheitliche Bildung, und Humanisten, als die sich die italienischen Denker des 15. Jahrhunderts im Zeitalter der Renaissance selbst bezeichnen, zurück.

Besonders meint Cicero mit Bildung aber die Sprache, Rhetorik und Philosophie und damit einhergehend besonders die Tugend. Während der Aufklärungszeit spricht man von Humanität und man meint damit allgemein Menschlichkeit. Dafür gelten als Beispiele Johann Gottfried Herder und Friedrich Schiller. Auch bei Goethe finden wir das wieder.

Für den italienischen Humanismus wird Cicero geradezu zu einem Idol und Vorbild des Menschen der Renaissance. Durch Francesco Petrarca kommt es zu einer Bewegung der Wiederbelebung des klassischen Altertums, wo der Mensch der Renaissance sein „Ich“ im Spiegel des Altertums erkennt. Er beginnt sich als Individuum zu begreifen. (siehe das Kapitel Renaissance hierzu.) Wir erinnern uns an den Satz des Protagoras: Der Mensch ist das Maß aller Dinge, den der Humanismus wieder aufgreift.

Der italienische Humanismus breitet sich in ganz Europa aus. Er hat auch auf die Deutschen tiefen Eindruck hinterlassen. Er ist sogar eine der Wurzeln der Reformation. Wichtige Vertreter sind Johannes Reuchlin, Erasmus von Rotterdam und Philipp Melanchthon. Ihr Humanismusbegriff hat aber eine deutlich christliche Prägung.

Wir sehen: Cicero ist die Brücke, über die das griechische Denken in die Neuzeit gelangt. Zusätzlich gibt er uns einen Bildungsbegriff mit, den die neuzeitlichen Bildungsreformatoren aufgenommen haben. Wir sehen auch: es kann eine Einheit zwischen Denken und Handeln geben. Allerdings ist dies streng an den Charakter des Einzelnen gebunden und somit wohl eher als historischer Glücksfall zu werten, denn als allgemeine Doktrin.

Cicero begründet den Humanismus mit und wirkt damit entscheidend auf viel spätere Epochen nach. Wieder einmal stellen wir fest, das Denken Freiräume braucht und sich gegebenenfalls erst hunderte Jahre später voll entfalten kann.

Seneca

Etwa hundert Jahre nach Cicero stoßen wir auf Seneca. Er war römischer Philosoph, Dramatiker, Naturforscher, Staatsmann und als Stoiker einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit. Er wurde im spanischen Cordoba als Sohn eines römischen Ritters geboren, bald nach Rom „verschickt“, um dort ausgebildet zu werden.

In „Über den Zorn“ schreibt Seneca über die Beherrschung von Emotionen – auch er stellt die Notwendigkeit von Bildung und Übung dar, die bei den Stoikern ja durchaus hoch im Kurs standen. Seneca wurde nach Intrigen für acht Jahre nach Korsika verbannt – eine Zeit in der er die stoische Unterwerfungslehre an eigenem Leib testen konnte. Nach Machtwechseln in Rom und seiner Rückkehr bekleidete Seneca im Jahre 50 n. Chr. die Prätur, die Vorstufe zum Konsulat als höchstem Amt in der römischen Magistratur. Später wurde er Lehrer des Kaisers Nero.

Berühmt ist seine Schrift „Von der Kürze des Lebens“ (De brevitate vitae), in der er den Menschen die Verschwendung ihres Lebens durch unsinnige Dinge unterstellt. Er kritisiert die Genusssucht genauso wie den Geiz oder die Habgier. Die Menschen vergeuden ihre Zeit mit Sinnlosem, So Seneca. Das erinnert uns an den carpe diem Spruch des Horaz, der auch im barock’schen memento mori eine tragende Rolle spielen wird.

Das politische Wirken Senecas ist tragisch: Immer auf stoische Milde, Zurückhaltung und Ausgleich bedacht, muss er erkennen, dass sein Schüler Nero das genaue Gegenteil tut. Als Antwort hierauf entwickelt Seneca die These, dass ein Weiser sich gerade in einer für das Gemeinwesen schwierigen Lage verdient machen könne und dass es den Umständen entsprechend abzuwägen gelte, wann politisches Engagement chancenreich und wann aussichtslos sei. Recht passend dazu hat Seneca auch Tragödien verfasst – er scheint sich seiner Position bewusst gewesen zu sein.

Gegen Ende seines Lebens verfasst er mehrere Schriften, in denen er sein politisches Engagement begründet. Er konstruiert einen Ethos: Die Pflicht eines jeden einzelnen Menschen sei es, a) seinen Verstand anzuwenden und b) der Gemeinschaft zu dienen. Er legt die Grundlagen für das spätere volonté générale des Rousseau, sowie für die Calvinistische Arbeitsethik. Weiterhin zeigt er für seine Zeit recht fortschrittliche Gedanken zur Gleichberechtigung und zur Würde des Menschen, speziell in der Sklavenfrage.

Mark Aurel

Mark Aurel war römischer Kaiser von 161 bis 180 n. Chr. Er ist uns auch als der Philosophenkaiser bekannt und seine Selbstbetrachtungen sind sein Hauptwerk. Bei Mark Aurel schließt sich ein Kreis: Das Denken der griechischen Stoa gepaart mit der Machtpolitik des römischen Imperiums. Insofern stellt die Regentschaft des Philosophenkaisers, zumindest theoretisch, das Paradebeispiel einer, ganz im platonischen Sinne, guten Herrschaft dar.

Freiheit und Gerechtigkeit, vor allem im Sinne gleichen Rechts für alle, gehörten zu den früh angeeigneten und stets beibehaltenen politischen Leitvorstellungen Mark Aurels.

„Severus war mir ein Beispiel in der Liebe zu unseren Verwandten wie auch in der Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe (…), durch ihn bekam ich einen Begriff, was zu einem freien Staate gehört, wo vollkommene Rechtsgleichheit für alle ohne Unterschied herrscht und nichts höher geachtet wird als die Freiheit der Bürger.“ (I, 14)

Worauf es ihm ankam, war ein vernunftgeleiteter und gemeinwohlorientierter Machtgebrauch, der mit den Grenzen der eigenen Kompetenz rechnete und dem größeren Sachverstand den Vortritt ließ bzw. die Problemlösung übertrug.

Seinen philosophischen Überzeugungen entsprechend, konzentrierte Mark Aurel sein Regierungshandeln, solange ihm dies möglich war, auf die inneren Strukturen des Reiches. Das besondere Augenmerk galt dabei den Schwachen und Benachteiligten der römischen Gesellschaft, den Sklaven, Frauen und Kindern, deren Situation er zu erleichtern suchte. Mehr als die Hälfte der überlieferten Gesetzgebungsakte des „Philosophen auf dem Kaiserthron“ zielten auf Verbesserung der Rechtsstellung und Freiheitsfähigkeit dieser Bevölkerungsgruppen. Er lässt also eine Art Sozialstaatlichkeit erkennen.

Was bleibt für uns aus der Herrschaft Mark Aurels? Nun, zunächst die Tatsache, dass absolute Herrschaft eines einzelnen Regenten durchaus gut sein kann. Mehr noch: Auch große Staatsgebilde können aristokratisch vernünftig regiert werden.

In unserer Forderung nach guter Führung stellen wir also bis 200 n. Chr. keine absolute Notwendigkeit zu demokratischen Strukturen fest. Also kann Platons und Aristotoles‘ Forderung nach Gutem und Gerechtem doch nicht an der Staats-Form festgemacht werden?

Es muss also eine andere Begründung für die Notwendigkeit von demokratischen Strukturen geben. Nicht Wohlstand, nicht Größe, nicht innere Freiheit, nicht Sicherheit, nicht Sozialpolitik und nicht das Rechtswesen bedingen Demokratie. All das kann auch unter einem weisen Monarchen verwirklicht werden. Warum also überhaupt nach den weiteren Gründen suchen? Wäre es denn nicht damit getan, Strukturen für die hervorragende Bildung von Herrschern zu schaffen, die dann weise und gut das Land regieren? Ganz im Sinne des Platonischen Versuchs, Herrschaft zu züchten? Wir merken uns folgenden Satz:

„Die Begründung von demokratischen Strukturen ist einzig und allein der Schutz vor Willkür“.

Das römische Imperium litt immer wieder unter Intrigen, Morden und (Bürger)Kriegen. Diese wurden vor allem durch charakterschwache Monarchen verursacht. Wir erinnern uns – Macht korrumpiert!, hatte schon der Grieche Herodot bemerkt. Die Unvorhersehbarkeit des Menschlichen zwingt uns, von der Person des Herrschers Abschied zu nehmen.Wie die Menschheit dazu die Mittel entwickelt hat, werden wir noch sehen. Zunächst aber stürzt Europa nach dem Untergang des römischen Reiches in eine ganz andere Zeit.

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